Heute haben doch eigentlich alle einen Podcast. Von Lifestyle über Beziehungstipps bis hin zu Ratschlägen für ein gesundes Leben. Podcasts besprechen heutzutage jedes erdenkliche Thema. Aber was fasziniert am Medium Podcast so sehr? Welchen Unterschied macht es aus psychologischer Perspektive, etwas zu hören, anstatt zu lesen?
Definitionen des Wortes «Podcast» findet man im Internet wie Sand am Meer. Was sie eint, wird unter anderem vom Bayerischen Rundfunk (BR) bündig auf den Punkt gebracht: Laut dem BR ist «Podcast» ein sogenanntes Kofferwort, welches sich aus einem Produkt der amerikanischen Firma Apple, «iPod» und dem englischen Wort für (Fernseh-)Sendung «Broadcast» zusammensetzt. Ein Podcast soll also Unterhaltungsprogramm bieten, jedoch nicht «für’s Auge», sondern «für’s Ohr».
«Gesprochene Wörter lassen Tag für Tag ganze Welten in unseren Köpfen entstehen.»
Warum Podcasts hören
Podcasts sind für zahlreiche Menschen ein Ersatz für das nicht mehr in den Alltag passende Lesen. Sich in Ruhe mit einem Buch zum «Schmökern» zurückziehen fällt oft nicht mehr leicht oder scheint unmöglich. Eine Lösung kann es sein, Bücher, die man sich schon immer vorgenommen hatte zu lesen, einfach zu hören. Zusätzlich vorteilig ist, freie Hände beim Hören zu haben und währenddessen auf und ab laufen zu können. So ist ein Abwasch vielleicht schneller, ein Abendspaziergang weniger einsam oder die tägliche Runde Sport entspannter erledigt.
Aber nicht nur zum Hören von Büchern sind Podcasts gut geeignet. Auch zu Politik, Themen der psychischen Gesundheit oder Sport wird in Podcasts diskutiert. Podcasts können also thematisch nach persönlichem Geschmack und Interesse ausgewählt und mit anderen Tätigkeiten verknüpft werden.
Aus wissenschaftlicher Perspektive stellen sich verschiedene Fragen: Was macht es mit uns, das geschriebene Wort nicht mehr selbst zu lesen, sondern vorgelesen bzw. vorgetragen zu bekommen? Welchen Unterschied macht es, wenn wir selbst lesen oder vorgelesen bekommen? Wie sind solche Unterschiede, auch in der eigenen Rezeption von Gehörtem oder Gelesenem untersuchbar?
Ganz schön schnell
Von den fünf Sinnen des Menschen ist der Gehörsinn einer der leistungsfähigsten. Das Gehör nimmt Musik, Sprache und Umgebungsgeräusche in einer Differenziertheit wahr, die die Fähigkeiten anderer Sinnesorgane übertrifft. Das Gehör arbeitet sogar schneller als das Auge. Worte werden wesentlich schneller verstanden als Bilder verarbeitet: Im gleichen Zeitraum, in dem das Gehirn einen visuellen Reiz registriert, können zwischen sechs und acht Wörter verstanden werden. Das Gehör dient aber nicht nur dem Hören und Verstehen, es ist auch ein «Stimmungsmacher»: Die akustischen Signale, die das Gehör auffängt, können Emotionen wecken, wie zum Beispiel beim Hören von Musik (Wengel & Geier, 2022).
Es war einmal…
Gerne wird dieser Satzanfang in Märchen gewählt. Dass es positive Effekte auf die Sprachentwicklung zu haben scheint, wenn im jungen Kindesalter häufig und regelmässig vorgelesen wird, erweist sich als bekannt und häufig untersucht (u.a. Foorman et al., 1997; Kalb & van Ours, 2014; Niklas et al., 2016). Ratgeber empfehlen Eltern, ihren Kindern bereits im Alter von drei bis vier Monaten vorzulesen (u.a. Zech, 2021). Vorgelesen zu bekommen, begleitet uns also schon ab dem frühen Kindesalter, ist sogar in den Vorstellungen vieler eine der zahlreichen vorbildlichen Aufgaben, die gute Eltern zu erfüllen haben.
Erwachsenen wird zwar immer noch vorgelesen – man denke an Vorlesungen in der Universität, eine Rede auf einer Hochzeit, die täglichen Nachrichten oder Lesungen von Autor*innen, die man in der Freizeit besucht – jedoch verfolgen diese auditorischen Medien unterschiedliche Ziele: von Wissens- und Informationsweitergabe bis hin zu Freizeitentspannung. Es zeigt sich ein unterschiedlicher Grad der Verbindlichkeit, mit dem auf das Gehörte eingegangen werden muss. Hören kann also vieles vermitteln und unterschiedlich anstrengend, gar fordernd sein. Fernab von der Kritik an bloss passivem Hören, bspw. im Universitätskontext (Renkl et al. 2020) scheinen Podcasts unterschiedlich (un)verbindliches «Alltagshören» anzubieten.
«Radio, someone still loves you»
Wissenschaftliche Untersuchungen zu der psychologischen Wirkung von Podcasts sind rar. Der Fokus der wissenschaftlichen Artikel, die sich finden lassen, bezieht sich meist auf Podcasts als Lernmedium: Wie können beispielsweise Student*innen mit der Hilfe von Podcasts besser lernen und Wissen behalten (Popova, 2008)? Wie können Podcasts im Bildungskontext generell eingesetzt werden (Zorn, 2011)?
Es stellt sich die Frage, ob konkrete Informationen zur Wirkung von Podcasts alternativ bei ihrem historischen Vorfahren, der Radioforschung zu finden sind (zu den Funktionen und psychologischen Wirkungen von Radio, Cantril & Allport, 1935). Schon früh wurde erkannt, dass Radio das Potential zum Massenmedium besass (Lazarsfeld, 1940), was sich in der Zeit des Nationalsozialismus tragisch bewahrheitete (BR, 2022). Mit Audio-Medien dieser Qualität wurden Massen erreicht, die vorher nie so drahtlos und vergleichsweise flexibel die neuesten Nachrichten und Musik etc. hören konnten. Nicht nur Queen gedachten der wesentlichen Rolle des Radios mit ihrem Welthit «Radio Ga Ga», in dem es heisst:
«Let’s hope you never leave, old friend
Like all good things, on you we depend
So stick around, ‘cause we might miss you
When we grow tired of all this visual»
Vielleicht sind wir heute tatsächlich von endlosen visuellen Eindrücken gelangweilt (oder überfordert?), wie Queen es treffend beschreiben und greifen deshalb auf das Audio-Medium zurück. Jedenfalls scheint das Medium Podcast das Medium Radio durch grössere Wahlfreiheit, weniger Werbung und mehr Spontanität bei der Möglichkeit des Abrufs und Downloads der Inhalte überholt zu haben (Bär, 2021).
Hören oder Lesen?
Spannend bleibt also die Frage, welchen Unterschied es macht, Texte zu lesen oder sie (in einem Podcast) bloss zu hören. Hierzu findet sich zahlreiche Literatur, die sich über die Psychologie bis in die Linguistik erstreckt. Es zeigt sich, dass Menschen, die sich beim Lesen schwertun, zu Audioquellen greifen können, welche ihnen das Verständnis und die Verarbeitung von Texten erleichtern (Aarnoutse et al., 1998). Die Leseflüssigkeit von Kindern im Grundschulalter erhöhte sich, wenn konsequent sogenannte «audiobooks» zur Unterstützung des Leseprozesses eingesetzt wurden (Friedland et al., 2017). Zugleich wird in Studien von einem Zusammenhang zwischen Hören und Lesen und einem gewissen Grad an Vorwissen und (Lern-)Erfahrung, wie zum Beispiel im Schul- oder Universitätskontext berichtet. Sind beide Wege des Verstehens und Antizipierens von Wissen ohne entsprechende Erfahrung noch unterschiedlich, so scheint der Unterschied zwischen dem Lese- und Hörverständnis mit zunehmender Leistung von Student*innen abzunehmen (Vidal, 2011). Beide Wege des Verstehens nähern sich also an.
In aktueller Forschung interessiert besonders der Effekt, den das Hören von Fremdsprachen auf das Sprachenlernen oder den Ausdruck haben kann. Die Tendenz ist hierbei, Hören und Lesen als Grundpfeiler von Sprachverständnis zu untersuchen (Cho & Krashen, 2019). Es zeigten sich unter anderem Beziehungen zwischen Wortschatz und Grammatik und dem Leseverständnis auf der Basis von Hörverständnis (Babayigit & Shapiro, 2019). Um eine letzte spannende Forschungskomponente in diesem Bereich aufzugreifen, sei auf den Unterschied zwischen dem «einfachen» Vorlesen einer Geschichte oder dem aktiven Geschichtenerzählen hingewiesen, den unter anderem Moussa und Koester (2021) mit nigerianischen Kindern erforschten. Hierbei zeigte sich, dass die Ergebnisse dieser Studie in Einklang mit zahlreichen vorangegangen Studien zu stehen scheinen (beispielhaft Isbell, 1979; Raines und Isbell, 1994; Isbell et al., 2004), in denen das freie Geschichtenerzählen als erfolgreiches Lerninstrument zur Förderung der Sprachentwicklung untersucht wurde. Isbell fand sogar Belege dafür, dass das Erzählen von Geschichten wirksamer war als das strikte Vorlesen. Ebenso stützen die Ergebnisse dieser Studie die Behauptung von Mallan (1992), dass Schüler*innen, die einer Geschichte lauschen, zusätzlich eine wesentliche Grundeigenschaft menschlicher Kommunikation lernen: Wie man zuhört. Somit erstreckt sich das Zuhören von Geschichten und das, was wir aus ihnen lernen können, nicht nur auf inhaltliche, sondern sogar auf soziale Komponenten.
Ein Wort der Achtsamkeit, da dies schnell untergehen kann: Wie bereits erwähnt ist unser Hörsinn sehr sensibel. So können zu laute Geräusche das Gehör nachhaltig schädigen. Es sollte also nicht vernachlässigt werden, wie viele starke Reize regelmässiges Podcasthören erzeugen kann (vgl. dazu eine Studie zur übermässigen Beschallung per Audio und deren Folgen, Keppler et al., 2010).
Festgehalten soll sein, dass die Forschung zu Podcasts, wie das Medium selbst, aktueller denn je und zugleich äusserst modern und im Vergleich zu «festgefahrenen» Medien wie dem Radio noch wenig erforscht ist. Stützt man sich auf Forschungsergebnisse zu auditiver Wahrnehmung im Vergleich zum gelesenen Wort wird man dahingehend fündiger. Der Jargon scheint hier zu sein: Hören und Lesen gehen Hand in Hand, wenn es um das Erlernen oder Verflüssigen einer Sprache geht. Für Erwachsene wie auch für Kinder können auditive Medien wie Podcasts also sprachlich und inhaltlich interessant sein – und damit mehr als blosse Unterhaltung.