Fehler seitens des Vaters werden verniedlicht, während sich Mütter kaum Fehler erlauben dürfen. Es folgt eine kurze Ausführung zu den unterschiedlich gewichteten Elternrollen und dem angestrebten Familienmodell: einer sich gegenseitig unterstützenden Allianz.
L ange Zeit herrschte die Überzeugung: Ein Kind braucht vor allem seine Mutter. Der Vater hingegen galt als Beschützer und Versorger – seine Rolle als evolutionär verankert (DeWitt et al., 2013). Später übernahm der Vater eine grössere Rolle und wurde zum Spielpartner seiner Kinder. Die Mutter blieb dennoch zuständig für die kontinuierliche Fürsorge. In der heutigen westlichen Welt sind immer mehr Frauen neben ihrer Rolle als Mutter erwerbstätig (Anderson et al., 2003). Durch die Emanzipation der Frau wandelte sich das Denken der Gesellschaft. Die Meinung, Frauen seien primär für Haushalt und Kind verantwortlich, gilt bei einigen zwar immer noch, denn die Verantwortung für die Kinderbetreuung und Hausarbeit wird überwiegend von Müttern übernommen, ohne dass eine wesentliche Unterstützung vonseiten der Väter erfolgt (DeWitt et al., 2013). Und wider Erwarten wird laut Tazi-Preve (2004) die Ungleichverteilung der Familienarbeit von 50 Prozent der Frauen nicht als Verletzung ihrer Ansprüche erachtet. Jede zweite Frau glaubt demzufolge, dass es ihre Aufgabe ist, den grösseren Teil der Verantwortung für die Erziehung der Kinder zu übernehmen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede in Erziehungspraktiken
Heard (2007) untersuchte die Familienstruktur über die gesamte Kindheit und Jugend hinweg und fand Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede der Eltern. Die Zeit, die Väter in Haushalten mit zwei biologischen Elternteilen mit ihren Kindern verbringen, nahm in den letzten Jahrzehnten zu. Mütter gelten jedoch immer noch als der präsentere Elternteil und sind stärker als Väter in die grundlegenden Aufgaben der Kinderbetreuung eingebunden. Väter sind eher indirekt beteiligt, indem sie die Mütter als Versorger unterstützen. Infolgedessen investieren Mütter mehr Zeit in die individuelle Betreuung und in die Gestaltung des Kinderlebens. Die Erwartungen an die Väter beschränken sich auf Spiel und finanzielle Beiträge (Heard, 2007).
Zudem widmen Mütter ihre Zeit öfter nicht nur ihrem Beruf, Haushalt, Kindern und Beziehung, sondern auch wissenschaftlichen Studien (Phares et al., 2005). Frühere und aktuelle Studien über Entwicklungsprozesse bedanken sich bei den Müttern, die ihre Babys und kleinen Kinder in die Labors brachten oder sich beobachten und befragen liessen. Die pädiatrisch-psychologische Forschung liegt zurück, was die Einbeziehung von Vätern in Forschungsdesigns und die getrennte Analyse von mütterlichen und väterlichen Effekten angeht. Väter werden bei familienbasierten Interventionen in der pädiatrischen Psychologie nicht ausreichend berücksichtigt (Phares et al., 2005).
Eltern-Burnout
Prof. Dr. med. Katja Cattapan vom Sanatorium Kilchberg berichtet, dass eine Burnout-Erkrankung als Folge von beruflichen Belastungen angesehen wird, jedoch auch durch hohes soziales Engagement ausgelöst werden kann. Beim Eltern-Burnout erkranken Mütter und Väter aufgrund chronischer Stressfaktoren. Ein idealisiertes Bild von Elternschaft verwandelt sich durch Überforderung in ein Horrorszenario. Dies führt häufig zu Erschöpfung, emotionaler Distanz zu den Kindern, Versagens- und Schuldgefühlen sowie körperlichen und psychosomatischen Beschwerden. Bleibt das Eltern-Burnout unbehandelt, kann es zu Depressionen, Angststörungen und sogar zu Suizidgedanken kommen. Zu den häufigsten Gründen für das Auftreten eines Eltern-Burnouts zählen hohe Erwartungen der Gesellschaft an Eltern und ihre Erziehungskompetenzen, Veränderungen im Familienmodell, eine Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen und eine unzureichende Aufgabenverteilung zwischen Müttern und Vätern (Cattapan, 2022).
Versteckte Last der Mutter
Die Mütter erfüllen gleichzeitig mehrere Rollen und leisten kognitive und emotionale Arbeit zu Hause, bei der Arbeit und in der Gesellschaft. Eine zeitgemässe Analyse von BBC (Hogenboom, 2021) beleuchtet die psychische Belastung von Müttern, die oft unerkannt bleibt. Mütter übernehmen ständig die Verantwortung für die Organisation und Planung von Aufgaben in Zusammenhang mit ihren Familien. Einkaufen und Haushaltsführung bis hin zur Organisation von Terminen und Freizeitaktivitäten gehören zu den Aufgaben einer Mutter und werden oft als selbstverständlich angesehen. Dies kann dazu führen, dass Mütter sich überfordert und erschöpft fühlen. Diese diversen Verpflichtungen werden dennoch gesellschaftlich als Teil der normalen Erwartungen an eine Mutter angesehen (Hogenboom, 2021). Tingey und Kollegen stellten bereits 1996 fest, dass der Übertragungseffekt (Spillover) der Arbeit auf die Familie und die Unzufriedenheit mit der Organisation der Kinderbetreuung in der Familie mit wahrgenommenem Stress zusammenhängen.
Die Auswirkungen dieser Belastung auf die mentale Gesundheit von Müttern weiten sich ebenso auf ihre Karrierechancen aus. Meeussen und Van Laar (2018) fanden, dass der soziale Druck, eine perfekte Mutter zu sein, positiv mit Eltern-Burnout zusammenhängt. Je mehr Druck Mütter empfinden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie an Eltern-Burnout erkranken. Elternstress, nämlich Gefühle von Angst, Sorge und Anspannung der Mütter, stärkt diesen Zusammenhang. Mütter streben danach, Fehler zu vermeiden und übernehmen dafür die Aufgaben ihrer Partner. Der wahrgenommene soziale Druck beeinflusst indirekt die Karriereambitionen, indem er die Work-Family-Balance senkt und dadurch auch die Karriereambitionen mindert. Mütter stehen oft vor der Entscheidung, inwieweit sie Zeit und Energie für ihre Familie oder für ihre Karriere investieren. Da soziale Normen den Frauen vorschreiben, der Familie Vorrang vor der Arbeit zu geben, stellen Mütter ihre Karriereambitionen zurück, um die hohen Erwartungen an die Mutterrolle zu erfüllen (Meeussen & Van Laar, 2018).
Massnahmen, um die wahrgenommene Belastung der Mutter verringern zu können, erfordern die aktive Mitarbeit des engeren Kreises. Die Schaffung einer klaren Aufgabenverteilung innerhalb der Familie und das Fördern offener Gespräche mit dem Partner sind wesentlich, um das Bewusstsein für das Problem zu schärfen (De Sousa Machado et al., 2020). Die emotionale oder auch praktische Unterstützung durch Familienmitglieder und Freund*innen kann das Wohlbefinden der Mütter verbessern (De Sousa Machado et al., 2020; Meeussen & Van Laar, 2018). Das schlichte Teilen der Kämpfe und Fehler anderer Mütter kann signalisieren, dass es in Ordnung ist, wenn es nicht immer machbar ist, den hohen Mutterschaftsstandards gerecht zu werden (Meeussen & Van Laar, 2018).
«Väter, die lange Überstunden von 51 und mehr Erwerbswochenstunden leisten, sind mit grosser Wahrscheinlichkeit keine aktiven Väter.»
Der aktive Vater
Tazi-Preve (2004) bezieht sich auf drei Arten elterlichen Engagements: Einerseits auf die direkte Interaktion mit den Kindern, die physische Präsenz ohne direkte Beschäftigung mit den Kindern und das Tragen der Verantwortung über die Erfüllung ihrer Bedürfnisse wie Arzttermine oder Vorbereitung des Mittagessens. Die Forschenden gehen davon aus, dass Mütter auf die erzieherischen und betreuerischen Aufgaben eingehen, während Väter diesen nicht nachkommen. Da erzieherische Tätigkeiten weder entlohnt werden noch den Vätern Ansehen verleihen, sind sie in ihren Augen weniger attraktiv (Tazi-Preve, 2004). Wie könnte diese Einstellung angepasst werden?
Die Forschung von Zerle-Elsässer und Li (2017) weist nach, dass Väter in der Lage sind, eine starke emotionale Bindung zu ihren Kindern aufzubauen und dass diese Bindung die kognitive und emotionale Entwicklung des Kindes unterstützt. Väter können ebenfalls zur Regulierung von Stress und Angst ihrer Kinder beitragen. Kinder mit engagierten Vätern weisen nämlich eine höhere emotionale und kognitive Resilienz auf (Zerle-Elsässer & Li, 2017).
«Je höher der Anteil des Einkommens der Mütter am gesamten Haushaltseinkommen ist, desto wahrscheinlicher gehört ein Vater zur Gruppe der aktiven Väter.»
Die aktive Vaterschaft hängt nach Zerle-Elsässer und Li (2017) von drei Schlüsselfaktoren ab: Erstens vom Erwerbsstatus beider Elternteile und den damit verbundenen wirtschaftlichen Erwägungen, zweitens von der Beziehungsqualität des Elternpaares und wie elterliche Aufgaben und Pflichten untereinander aufgeteilt werden, und drittens von der Einstellung des Vaters zur aktiven Vaterschaft und seinem Engagement in der Erziehung des Kindes.
Abschliessende Gedanken
Die Rolle des Vaters in der modernen Familie und die damit verbundenen Erwartungen sind Gegenstand aktueller Forschung. In der heutigen Gesellschaft existieren noch immer bestimmte stereotype Vorstellungen über Elternrollen, die den Vater als Versorger und Beschützer der Familie und die Mutter als Erzieherin, Ehefrau und Haushälterin sehen. Nichtsdestotrotz lastet auf Vätern der zunehmende Druck, sich aktiv an der Erziehung und Pflege ihrer Kinder zu beteiligen. Es ist wichtig, dass dieses Thema anerkannt und angesprochen wird, damit Mütter die Unterstützung und Ressourcen erhalten, die sie benötigen, um auf ihre mentale Gesundheit zu achten. Zukünftige Interventionen sollen sich auf Co-Parenting konzentrieren und gemäss diesem Konzept sowohl Mütter als auch Väter in die Kindererziehung und -betreuung miteinbeziehen.