«Du bist, was du isst». Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, hat grossen Einfluss auf unser tagtägliches Leben. Die Forschung berichtet von diversen Zusammenhängen zwischen Ernährung und Gesundheit. Wie sieht es mit mentaler Gesundheit und subjektivem Wohlbefinden aus?
« Was gibt’s heute zu essen?» Diese Frage stellen wir uns alle täglich in verschiedenen Kontexten. Sei es, weil wir zum Abendessen bei Bekannten eingeladen sind, weil die Gedanken nach stundenlangem Büffeln in der Bibliothek abschweifen, oder einfach, weil wir gerade ein Hungergefühl verspüren. Was wir in welcher Situation dann tatsächlich essen, hängt von vielen verschieden Faktoren ab: von Körpergefühl, Körperwahrnehmung, Geschmacksvorlieben, Lebensalter, Geschlecht, Gewohnheiten, Alltagsabläufen, soziokultureller Zugehörigkeit, aktuell verfügbarer Zeit, persönlichem Wissen, Fertigkeiten, Nahrungsangebot und so weiter (Sauter, 2020). Je nach Person fliessen zu unterschiedlichem Ausmass in die Entscheidung auch Wissen und Überzeugungen zu gesunden Ernährungsweisen ein. Kein Fleisch zu essen ist beispielsweise mit vielen Vorteilen für die körperliche Gesundheit verbunden, wie zum Beispiel einem geringeren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, tieferem Blutdruck und reduziertem Risiko für Übergewicht, Typ 2 Diabetes und Dickdarmkrebs (Costa et al., 2019). Gibt es darüber hinaus Zusammenhänge mit Variablen psychischer Gesundheit?
Nährstoffe und psychische Gesundheit
Bei einer Lebenserwartung von 75 Jahren und drei Mahlzeiten pro Tag nimmt der Mensch in seinem Leben ungefähr 80‘000 Mahlzeiten zu sich (Sauter, 2020). Dabei wirkt sich sowohl das Essverhalten auf die Psyche aus als auch umgekehrt die Psyche auf das Essverhalten. Alkohol hebt die Stimmung, enthemmt oder macht aggressiv. Schokolade kann Glücksgefühle hervorrufen. Andererseits essen und trinken Menschen nicht nur, weil sie Hunger und Durst haben, sondern auch aus Trauer, Langeweile, Freude, Geselligkeit, Stress oder weil sie sich belohnen wollen. Mahlzeit haben auch eine starke soziale Komponente. So kann beispielsweise ein gemeinsamer Kaffee als Hilfsmittel zur Beziehungsaufnahme dienen (Sauter, 2020). Obwohl es also beim Essen um deutlich mehr geht als nur die Aufnahme von Nährstoffen, sind diese durchaus von Bedeutung, wenn es um Variablen psychischen Wohlbefindens geht.
Firth und Kollegen (2020) liefern einen Überblick über die komplexen Einflüsse von Ernährung und Nährstoffen auf das Gehirn und die Psyche. So zeigt beispielsweise längsschnittliche Forschung einen Zusammenhang zwischen raffinierten Kohlenhydraten und dem Einsetzen von depressiven Symptomen. Kalorienreiches Essen, das reich an gesättigten Fettsäuren ist, scheint das Immunsystem zu aktivieren und entzündende Effekte zu haben, die wiederum mit kognitivem Abbau, Dysfunktion des Hippocampus (einer Hirnstruktur, die mit dem Gedächtnis in Zusammenhang steht) und Beeinträchtigungen der Blut-Hirn-Schranke zusammenhängen. Umgekehrt können antiinflammatorische Nährstoffe und Ernährungsweisen (z. B. mediterrane Ernährung, siehe auch Owen & Corfe (2017)) depressive Symptome reduzieren. Dieser Zusammenhang ist jedoch sehr komplex und wird beispielsweise durch Stressoren und die persönliche Krankheitsgeschichte mit Depressionen beeinflusst. Firth und Kollegen (2020) fassen zusammen, dass sich möglicherweise eine vermehrt gesunde, nährstoffreiche Ernährung und die gleichzeitige Reduktion von stark verarbeiteten «Junkfoods» über die bekannten Vorteile für die körperliche Gesundheit hinaus auch in einem verbesserten psychologischen Wohlbefinden zeigen können.
Spezifische Ernährungsweisen, welche zunehmend wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten, sind einerseits die vegetarische Ernährung, die auf Fleisch verzichtet, und andererseits die vegane Ernährung, die alle tierischen Produkte aus dem Menüplan streicht. In der Forschung werden diese Ernährungsformen oft nicht getrennt untersucht, sondern in einen Topf geworfen, oder der Fokus wird nur auf Vegetarier*innen gelegt. Nezlek und Forestall (2020) schlagen vor, Vegetarismus als soziale Identität im Sinne der Social Identity Theory nach Taijfel und Turner (1979, zitiert nach Nezlek & Forestell, 2020) zu betrachten. Das beinhaltet, dass Personen sich und andere in Gruppen kategorisieren, die Ideen, Meinungen, Wissen und Überzeugungen – in diesem Fall zur fleischlosen Ernährung – teilen, und die eigene Gruppe als besser und heterogener als andere Gruppen wahrgenommen wird. Vegetarismus als soziale Identität geht also über ernährungsbezogene Präferenzen hinaus. Vielmehr hat die Wahl der Ernährung auch die Funktion, Ideale und Identitäten auszudrücken, und kann die breitere Lebensphilosophie einer Person repräsentieren (Nezlek & Forestell, 2020).
«Being a vegetarian is more socially visible and has more implications for one’s social life than eating less meat has.»
Auch Veganismus kann eine Form von Aktivismus, beziehungsweise eine politische Ernährung werden, mit der Personen ihre Ernährung mit ihren ethischen und moralischen Einstellungen in Einklang bringen können (Costa et al., 2019). Aus Interviews mit zehn australischen Veganerinnen leiten Costa und Kollegen (2019) ab, wie junge Frauen sich auf ihrem Weg zum Veganismus verändern. Zunächst verfügen die Frauen über starke ethische Einstellungen bezüglich Tierrechten. Sie identifizieren sich mit der veganen Subkultur und verändern ihren eigenen Lebensstil deutlich, nicht nur bezogen auf Ernährung, sondern auch auf ihre Identität. Die Frauen erleben einige positive Veränderungen in der Beziehung zu sich selbst, anderen Personen, Tieren und der Umwelt. Die Identifikation als Veganerin scheint ihre Beziehung zum Essen zu verbessern, genauso wie ihr Wohlbefinden (Costa et al., 2019).
Auch Veganismus kann eine Form von Aktivismus, beziehungsweise eine politische Ernährung werden, mit der Personen ihre Ernährung mit ihren ethischen und moralischen Einstellungen in Einklang bringen können (Costa et al., 2019). Aus Interviews mit zehn australischen Veganerinnen leiten Costa und Kollegen (2019) ab, wie junge Frauen sich auf ihrem Weg zum Veganismus verändern. Zunächst verfügen die Frauen über starke ethische Einstellungen bezüglich Tierrechten. Sie identifizieren sich mit der veganen Subkultur und verändern ihren eigenen Lebensstil deutlich, nicht nur bezogen auf Ernährung, sondern auch auf ihre Identität. Die Frauen erleben einige positive Veränderungen in der Beziehung zu sich selbst, anderen Personen, Tieren und der Umwelt. Die Identifikation als Veganerin scheint ihre Beziehung zum Essen zu verbessern, genauso wie ihr Wohlbefinden (Costa et al., 2019).
Menschen, die sich freiwillig vegetarisch ernähren, weisen eher liberale politische Sichtweisen auf, legen Wert auf Umweltschutz, Gleichbehandlung und soziale Gerechtigkeit und sind gegen Autoritarismus, die Todesstrafe und Gewalt im Allgemeinen (Nezlek & Forestell, 2020). Sie sind empathischer und altruistischer als Fleischessende. Jedoch zeigt die Forschung, dass Vegetarier*innen auch schlechter angepasst, neurotischer, depressiver und ängstlicher sind, sowie häufiger schlechte Stimmung haben. Dafür gibt es drei Erklärungsmöglichkeiten. Einerseits kann es sein, dass Nährstoffmangel aufgrund vegetarischer Ernährung zu Beeinträchtigungen der mentalen Gesundheit führt. Eine andere Erklärung besteht darin, dass Vegetarier*innen als soziale Minderheit – sie machen in westlichen, industrialisierten Ländern maximal 10 Prozent der Population aus – abgewertet werden und oft soziale Ablehnung und Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft, den Fleischessenden, erfahren. Ausserdem könnte das geringere Wohlbefinden daraus resultieren, dass die ausgeprägtere prosoziale Haltung und das Klimabewusstsein der Vegetarier*innen sie mehr unter den bestehenden sozialen und umweltbezogenen Missständen leiden lassen. Es stellt sich somit auch die Frage der Kausalitätsrichtung, also ob die vegetarische Ernährung zu schlechterem Wohlbefinden führt, oder ob Personen mit geringerem Wohlbefinden sich eher vegetarisch ernähren (Nezlek & Forestell, 2020).
Beziehungen von Vegetarier*innen
Vegetarismus ist nicht nur eine Ernährungsform, sondern kann einen wichtigen Teil der sozialen Identität darstellen (Nezlek & Forestell, 2020). Insofern gibt es auch Zusammenhänge mit sozialen Beziehungen. Beispielsweise erleben Vegetarier*innen Sticheleien von Freund*innen und Familienmitgliedern, sowie Mikroaggressionen (Pfeiler & Egloff, 2020). Ausserdem können die Unterschiede in den Werten zu «vegetarian threat» führen, also dass Fleischessende eine Bedrohung ihrer eigenen Werte durch Vegetarier*innen wahrnehmen (Nezlek, Cypryanska, & Forestell, 2021). Bleiben Letztere also vermehrt unter sich? Eine Reihe von Studien von Nezlek, Cypryanska und Forestell (2021) mit Amerikaner*innen und Pol*innen zeigt, dass Vegetarier*innen deutlich wahrscheinlicher vegetarische Freunde haben. Ausserdem haben sie mit über 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine*n vegetarische*n Partner*in, im Vergleich zu 4% der Fleischessenden. Tatsächlich scheinen Vegetarier*innen also Beziehungen zu Personen mit ähnlichem Ernährungsstil zu präferieren.
Es gibt jedoch auch Zweifel daran, ob Vegetarier*innen tatsächlich ein geringeres subjektives Wohlbefinden aufweisen. Beispielsweise kann die Diskriminierung als Vegetarier*in oder Veganer*in zu erhöhter Identifikation mit der jeweiligen Gruppe führen und dadurch das Wohlbefinden steigern (Pfeiler & Egloff, 2020). Pfeiler und Egloff (2020) stellten fest, dass Studien zu diesem Thema sehr inkonsistente und teilweise widersprüchliche Ergebnisse liefern und haben sich der Fragestellung mit zwei repräsentativen Stichproben aus Deutschland und Australien angenommen. Die Vegetarier*innen wiesen jeweils leicht höhere Werte in negativem Affekt auf, jedoch auch in Zufriedenheit mit ihrem Gesundheitszustand und in der deutschen Stichprobe auch mit Lebenszufriedenheit. Bei positivem Affekt gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen Vegetarier*innen und Fleischessenden. Da jedoch das subjektive Wohlbefinden und die Ernährungsweise auch mit Variablen wie Alter und Geschlecht zusammenhängen, wurde in einem zweiten Analyseschritt für demografische Variablen kontrolliert, also der Effekt derselben statistisch herausgerechnet. Danach zeigte sich nur noch ein sehr kleiner Effekt beim negativen Affekt, was darauf schliessen lässt, dass die Effekte der Ernährung auf das subjektive Wohlbefinden vernachlässigbar sind, zumindest gemittelt über eine grosse Stichprobe hinweg (Pfeiler & Egloff, 2020). Interessant wäre es zu untersuchen, ob es diesbezüglich Unterschiede zwischen verschiedenen Typen von Vegetarier*innen gibt.
Auch Rossa-Roccor und Kollegen (2021) fanden keinen Zusammenhang zwischen pflanzenbasierter oder tierischer Ernährungsweise mit Indikatoren für mentale Gesundheit und Lebensqualität in einer kanadischen Stichprobe. Da selbstberichtete Essgewohnheiten jedoch typischerweise zu einer Unterschätzung der Effektgrössen führt, fordern die Autor*innen zu weiterer Forschung hierzu auf.
«Still, even with only a psychological label effect in place, an increase in subjective wellbeing should be welcomed.»
Biolebensmittel
Mit dem Zusammenhang zwischen Biolebensmitteln und subjektivem Wohlbefinden haben sich Apaolaza und Kollegen (2018) beschäftigt. In zwei Studien mit einer spanischen und einer australischen Stichprobe fanden sie heraus, dass das Konsumieren von Biolebensmitteln zu einem erhöhten subjektiven Wohlbefinden führt, wobei die Überzeugung, dass «bio» gesund ist, und das Interesse an der eigenen Gesundheit eine Rolle spielten. Dabei könnte es sich rein um einen Labeleffekt handeln, da sich der Unterschied auch zeigte, als zwei Versuchspersonengruppen den gleichen konventionellen Orangensaft mit oder ohne Biolabel tranken. Da Biolebensmittel zusätzlich zur Wohlbefindenssteigerung auch besser für die Umwelt sind, scheint es dennoch sinnvoll, den Konsum derselben zu fördern (Apaolaza et al., 2018).
Genuss
Ein weiterer Ansatz zur Herangehensweise an eigene Essensentscheidungen besteht darin, den Genuss zu maximieren. Laut Schönberger und Schmitt (2008) macht das vor dem Hintergrund der Betrachtungsweise von Gesundheit als über die Abwesenheit von Krankheit hinausgehend auch Sinn. Denn Genuss, hier gekennzeichnet von Sinnlichkeit, Lust und Reflexivität – also auch von Selbstkontrolle und Masshalten – kann Einfluss auf die Widerstandsressourcen gegen Stressoren haben und somit auch auf das Wohlbefinden (Schönberger & Schmitt, 2008). Schuldgefühle hingegen, die beispielsweise durch das Nicht-Erreichen von Ernährungszielen wie Vegetarismus ausgelöst werden könnten (Pfeiler & Egloff, 2020), können Stress erzeugen. Insofern plädieren Schönberger und Schmitt (2008) dafür, einen schuldfreien Umgang mit Genuss anzustreben.
Was gibt’s?
Die Antwort auf die Frage «Was gibt’s heute zu essen?» ist individuell und in jeder Situation abhängig von vielen Faktoren. Unsere Ernährungsweise kann mehr oder weniger stark unsere Identität bestimmen. Die Zusammenhänge mit psychischen Variablen wie mentaler Gesundheit und Wohlbefinden sind komplex. Die vielleicht einfachste und beste Antwort könnte also sein: «Etwas, das Freude bereitet».