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Alltag

Stress durch Diskriminierung

Wie sich Diskriminierungserfahrungen auf die psychische Gesundheit auswirken –mit Fokus auf die Schweizer LGBTQ+ Community
Bilder: Shaumya Sankar

Erst letzten September hat die schweizerische Bevölkerung darüber abgestimmt, dass homosexuelle Paare heiraten dürfen. Diese im Vergleich zu Nachbarländern späte Entscheidung wirft Fragen auf. Welchem psychischen Druck war und ist die LGBTQ+ Community bis heute in unserer Gesellschaft ausgesetzt? Macht andauernde Diskriminierung krank?

D as Schweizer Parlament hat am 18. Dezember 2020 mit grosser Mehrheit entschieden, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden soll. Diese Gesetzesänderung – die Ehe für alle – war ein wichtiger und längst überfälliger Schritt in Richtung Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren mit heterosexuellen Paaren in der Schweiz. Am 26. September 2021 haben auch die Stimmbürger*innen mit einem deutlichen JA die Ehe für alle angenommen. Zudem wird Frauenpaaren der Zugang zur professionellen Samenspende in der Schweiz ermöglicht, wobei beide Mütter ab Geburt als rechtliche Eltern anerkannt werden.

Die LGBT-Helpline Schweiz

Die LGBT+ Helpline (https://www.lgbt-helpline.ch) existiert seit 2016 und nimmt Meldungen zu LGBTQ-feindlichen «Hate Crimes» entgegen. Die Meldestelle hat das Ziel, die Situation in der Schweiz sicht- und messbar zu machen, da es fast keine offiziellen Erhebungen gibt. Einzig in der Stadt Zürich und im Kanton Freiburg werden seit 2021 Übergriffe regional erfasst.

Partnerschaft und Ehe

Um einen Blick auf Möglichkeiten der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren zu werfen, ist es wichtig, sich der Neuerungen durch das oben genannte Gesetz bewusst zu sein. Die wesentlichen Unterschiede zwischen einer Partnerschaft und der nun auch für gleichgeschlechtlichen Paare möglichen Ehe beziehen sich auf fünf (rechtliche) Aspekte: Vermögensrecht, Einbürgerung, Adoption, Zugang zur Samenspende und Hinterlassenenrente. Ab dem 01. Juli 2022 ist es möglich, mit Hilfe einer «einfachen Erklärung» auf dem Standesamt die Umwandlung von Partnerschaft zu Ehe zu beantragen. Wie dieses Verfahren genau abläuft, unterscheidet sich kantonal (Bundesamt für Justiz, 2022).   Freuen wir uns über die Neuigkeiten zum positiven Entscheid der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, lesen wir zugleich auch von dem Hass, der Gewalt und der Diskriminierung gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans und Queere Personen (LGBTQ). Diese Formen des Umgangs nehmen in der Schweiz zu: Die LGBT-Helpline verzeichnete im vergangenen Jahr 92 Meldungen zu so genannten «Hate Crimes» (LGBT-Helpline Schweiz, 2022). Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Insbesondere die Zahl an transfeindlichen Übergriffen sei gegenüber den Vorjahren stark gestiegen.

45 Prozent der Betroffenen gaben bei der LGBT-Helpline an, dass sie aufgrund ihres Geschlechtsausdrucks diskriminiert worden seien. Zudem meldeten sich viele junge Menschen – auffällig sei die Häufung von Meldungen von Personen unter 22 Jahren. Mehr als die Hälfte erklärte, psychisch unter dem Vorfall zu leiden. Zwar fanden die meisten Übergriffe in der Öffentlichkeit statt, dennoch schaute die Zivilgesellschaft meistens weg und nur die wenigsten der gemeldeten «Hate Crimes» wurden angezeigt oder der Polizei gemeldet, wie es weiter heisst.

«Ja, und für mich ist auch noch mal der Punkt, dass die Umwelt so wenig darüber weiß, also dass eben, das ist ja jetzt wirklich ein relativ junges Phänomen noch, dass es öffentlich überhaupt die ersten Informationen gibt, ja, dass einfach diese Tabuisierung noch unglaublich hoch ist, wenig Wissenslage, wenig Infrastruktur, wenig Unterstützungsmodelle, viel im Selbsthilfebereich.»

Zitat aus dem Abschlussbericht zu Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Jugendlichen in Deutschland. Deutsches Jugendinstitut, 2013, Seite 47

In diesem Zitat beschreibt ein trans/transidenter Jugendlicher oder junger Erwachsener im «Abschlussbericht zu Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Jugendlichen in Deutschland» des Deutschen Jugendinstituts (2013) die Situation und Erfahrung mit der Reaktion der Aussenwelt. Zu der eigenen Unsicherheit, der Selbstfindung und Verbalisierung der eigenen Vorstellungen von Körperlichkeit, Geschlecht und sexuellen Interessen kommt eine unausgeglichene Dynamik zwischen Individuum und Gesellschaft zu Tage. Das Individuum scheint die Konsequenzen (bspw. Hass oder Diskriminierung) für die relative Untätigkeit oder Behäbigkeit der Gesellschaft zu tragen. Eine unsichere Gesellschaft fängt diesen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nicht auf, der Jugendliche oder junge Erwachsene tritt in die Leere einer Gesellschaft, die noch nicht «so weit» ist und verweist auf den Bereich der Selbsthilfe.

Absichtlich wurde hier ein Zitat gewählt, das bald 10 Jahre alt ist. Bis heute sind Stigmatisierung und Unwissen in der Gesellschaft gross, jedoch gibt es bei weitem mehr Stellen, an die sich gewandt werden kann. Hier seien nur «Du-bist-du», «InterAction Suisse» oder der «Dachverband Regenbogenfamilien» in der Schweiz genannt.

Krank durch Ausgrenzung

Es lässt sich in Hinblick auf den gesellschaftlichen Umgang mit Personen aus der LGBTQ+ Community festhalten, dass Forschung zu psychischer Gesundheit, zu Folgen von Ausgrenzung und offen gezeigtem Hass weiter intensiv betrieben werden. Die Forschung mit Proband*innen aus der LGBTQ+ Community betrifft zahlreiche Bereiche des täglichen Lebens, wie den Arbeitsplatz (Ozeren und Aydin, 2016), konservativere Kulturen (Foong et al., 2020), öffentliche Räume (Robinson, 2016) und den Gesundheitsbereich (Smith et al., 2021). Bezogen auf die Schweiz finden sich unter anderem Artikel zur Situation von Asylsuchenden und dem Fehlen von LGBTQ+-spezifischen Fluchtgründen im Gesetz (Garcia, 2014) und zur Diversität und Inklusion in Schweizer Grossunternehmen (Bucher & Gurtner, 2017).

Hilfreiche Definitionen

«Hate speeches», zu Deutsch «Hassreden» beziehen sich auf die Aufstachelung und Ermutigung zu Hass, Diskriminierung oder Feindseligkeit gegenüber einer Person, die durch Vorurteile gegenüber dieser Person aufgrund eines bestimmten Merkmals, z. B. ihrer sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, motiviert sind.

«Hate Crimes», zu Deutsch «Hassverbrechen» beziehen sich auf einen physischen oder verbalen Angriff auf eine Person, der durch Vorurteile gegenüber dieser Person aufgrund eines bestimmten Merkmals, z. B. ihrer sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, motiviert ist.

«Homophobie» ist die irrationale Angst vor einer Person, weil diese lesbisch, schwul oder bisexuell ist.

«Transphobie» ist die irrationale Furcht vor einer Person, weil sie ein anderes als das ihr bei der Geburt zugewiesene Geschlecht zum Ausdruck bringt, z. B. durch Hormonbehandlung, Operationen, Kleidung oder Kosmetika.

Diskriminierung auf Basis von Ethnie, sexueller Orientierung oder der Geschlechtsidentität wurde in bisheriger Forschung mit zahlreichen negativen psychologischen und physischen Gesundheitsfolgen in Verbindung gebracht. Dazu zählen vermehrte Selbstmordgedanken (Sutter, 2016). Lesbische, schwule, bisexuelle und trans Menschen zeigen gegenüber heterosexuellen Vergleichsgruppen ein erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten (Bundesamt für Gesundheit et al., 2016, S. 15). So beschreiben Wang und Kollegen (2012) bei homo- und bisexuellen Jugendlichen in der Schweiz eine fünf Mal höhere Suizidversuchsrate als bei heterosexuellen Teenagern. Das erhöhte Risiko für suizidales Verhalten komme indirekt durch verschiedene Faktoren (z. B. Schikanen oder Bullying, fehlende Akzeptanz durch die Familie oder geringe Selbstakzeptanz), nicht aufgrund der sexuellen Orientierung selbst zu Stande. Als protektive Faktoren werden in der Literatur vor allem ein unterstützendes Schulklima und akzeptierende und unterstützende Familien genannt (Bryan & Mayock, 2017). Diese protektiven Faktoren dienen als Ausgangspunkt für die Entwicklung von entsprechenden Präventionsmassnahmen (O’Brien et al., 2016).

Die gesundheitlichen Ungleichheiten und Unterschiede von sexuellen Minderheiten, insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit, sind zumindest für westliche Staaten wie die USA intensiv dokumentiert (Bostwick, 2014). Zahlreiche Studien zeigen, dass die Prävalenz von Depressionen und Angststörungen bei Lesben, Schwulen und Bisexuellen im Vergleich zu Heterosexuellen erhöht ist (Darren, 2014; Smart, 2020; Fletcher, 2022). Einige Autor*innen vermuten, dass diese Unterschiede auf den Stress zurückzuführen sind, den Vorurteile und wahrgenommene Diskriminierung verursachen können (Ong et al., 2009; Berger & Sarnyai, 2015; Goosby et al., 2018).

Sichtbarkeit und Coping

Die vorhandenen Ergebnisse deuten darauf hin, dass verschiedene Arten von Diskriminierung in unterschiedlichem Masse mit Störungen der psychischen Gesundheit verbunden sein können. Zugleich zeigten Berjot und Gillet bereits 2011 eindrücklich, wie vorhandene psychologische Modelle, wie das der Transaktionalen Stresstheorie von Lazarus und Folkman (1984) genutzt werden können, um Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen und Stress herzustellen, aber auch mögliche um Copingstrategien zu entwickeln.

Unter anderem Drake (2013) attestiert unserer Gesellschaft, grundsätzlich offener für Vielfalt zu sein als noch vor einigen Jahren. Dies könnte zu einem geringeren Druck, weniger Hass und Diskriminierung gegenüber der LGBTQ+ Community führen. In der Schweiz zeigte sich auf dem diesjährigen Zürich Pride Festival, das bereits seit 1994 (damals und bis 2009 noch als CSD Zürich) durchgeführt wurde, ein weiteres Mal, wie wichtig gelebte Inklusion und Vielfalt für die Schweizer Bevölkerung zu sein scheint. Allein dieses Jahr wurde das Festival von über 40.000 Menschen besucht und bunt gefeiert. Je sichtbarer, desto besser – trotzdem muss weiter an der Sicherheitslage und dem Schutz vor Diskriminierungen gearbeitet werden.

Zum Weiterlesen

Referenzen

  • Berjot, S., & Gillet, N. (2011). Stress and coping with discrimination and stigmatization. Front Psychol. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2011.00033
  • Berger, S., & Sarnyai, Z. (2015). “More than skin deep”: stress neurobiology and mental health consequences of racial discrimination. Stress18(1), 1-10. https://doi.org/10.3109/10253890.2014.989204
  • Bryan, A., & Mayock, P. (2017). Supporting LGBT Lives? Complicating the suicide consensus in LGBT mental health research. Sexualities, 20(1–2), 65–85.
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