Technologie nimmt eine immer zentralere Rolle in unserem Leben ein, da sie viele Vorteile und Erleichterungen in unserem Alltag bietet. Ein Beispiel moderner Technologie ist die Virtuelle Realität, die in vielen Disziplinen Anwendung findet. Besonders vielversprechend sei der Einsatz von Virtueller Realität im therapeutischen Kontext.
I mmersive Virtuelle Realität (VR) schafft interaktive, computergenerierte Welten mit digitalen Sinneseindrücken, die eine realistische Umgebung erzeugen (Park et al., 2019). Das Konzept der VR stammt aus den 50er Jahren und entwickelt sich seitdem immer weiter zu einem wertvollen Ansatz in der Psychotherapie (Park et al., 2019). Benötigt wird dafür ein Display System, wie beispielsweise Head-Mounted-Displays – am Kopf befestigte visuelle Ausgabegeräte – kurz: HDMs, und einen Tracker, der die Position und Bewegung des Nutzers erfasst (Freeman et al., 2017). Der große Vorteil von VR in der Therapie ist die präzise Steuerung der präsentierten Reize. Dies ist therapeutisch besonders hilfreich (Freeman et al., 2017), da die Interventionen an die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen angepasst werden können (Wiebe et al., 2022). Patient*innen können ausserdem nicht nur die computer-generierten Welten beobachten, sondern auch aktiv an den Geschehnissen teilnehmen (Park et al., 2019). Die neusten Generationen von HMDs und die weitere zugehörige Ausrüstung sind heutzutage für erschwingliche Preise auf dem Markt zu erhalten (Freeman et al., 2017; Wiebe et al., 2022), dies ermöglicht es die neuen VR-Technologien aus den Laboren in die eigenen vier Wände zu bringen und leichter für die Betroffenen zugänglich zu machen (Freeman et al., 2017).
Aktuell werden zahlreiche neue Produkte entwickelt, u. a. Handschuhe und weitere Sensoren, die Vibrationen auslösen (Bekrater-Bodenmann et al., 2014), welche das Erlebnis der VR immer realitätsnäher gestalten und so den Prozess der Therapie beschleunigen können (Freeman et al., 2017).

VR gibt es schon seit vielen Jahren, und wird immer häufiger auch im klinischen Bereich beforscht (Freeman et al., 2017; Wiebe et al., 2022). Momentan entwickeln sich verschiedene Forschungsprojekte, die sich auch mit den Effekten und Potentialen von VR befassen. Die positiven Effekte der Verwendung von VR in der Therapie wurden schon bei vielen psychischen Störungen, wie beispielsweise Angststörungen, Depression, Posttraumatischer Belastungsstörung und Zwangsstörungen festgestellt. (Wiebe et al., 2022). Bisher sind die bedeutendsten Effekte bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) entdeckt worden (Wiebe et al., 2022).
«Kognitive Modelle, die aus der klassischen kognitiven Theorie abgeleitet sind, postulieren, dass nicht das traumatische Ereignis selbst, sondern dessen Interpretation die klinischen Symptome auslöst.»
Posttraumatische Belastungsstörung
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann bei Individuen entstehen, welche direkt oder indirekt ein Ereignis erlebt haben, das lebensbedrohlich oder gefährlich für die körperliche Unversehrtheit war (American Psychiatric Association, 2013). Traumata können auf verschiedene Weise kategorisiert werden; einerseits lässt sich eine Unterscheidung nach ihrer Häufigkeit vornehmen (Typ-I-Traumata im Vergleich zu Typ-II-Traumata), andererseits nach der auslösenden Ursache (nicht-intentionale vs. intentionale Traumata; Pausch & Matten, 2018). Das Trauma wird in Form von Flashbacks – wiederkehrenden Erinnerungen des Erlebten –, oder Albträumen immer wieder durchlebt. Letzteres kann zu körperlicher Anspannung und Vermeidungsverhalten führen (American Psychiatric Association, 2013).
Zur Behandlung von PTBS werden zurzeit drei Ansätze gemäss Behandlungsrichtlinien empfohlen: Prolongierte Expositionstherapie, Kognitive Verarbeitungstherapie und Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) (Merians et al., 2023). Die Wirkung von präventiven Interventionen ist hingegen bis heute noch nicht genügend belegt (Merians et al., 2023). Das Konzept der Expositionstherapie besteht darin, dass die Patient*innen sich durch gezielte Expositionen, schrittweise mit den traumaassoziierten Erinnerungen, Gefühlen und Situationen auseinandersetzten. Dies führt zu einer Verringerung von Vermeidungsverhalten und einer Abnahme der PTBS-Symptome (American Psychiatric Association, 2020). Von diesen drei Ansätzen ist die prolongierte Expositionstherapie jene, die der Virtuellen Expositionstherapie (VRET) am ähnlichsten ist.
Wie bereits erwähnt wird bei PTBS häufig eine Expositionstherapie angewendet. Diese konfrontiert die Patient*innen mit ihren Ängsten, so dass diese durch Habituation lernen damit umzugehen (Wechsler, Kümpers & Mühlberger, 2019; Merians et al., 2023). Die VRET beruht auf denselben Prinzipien, wie die übliche Expositionstherapie, jedoch sind die Interventionen zielgerichteter und ermöglichen die Stimuli noch genauer zu wählen, zu kontrollieren und präziser auf das Individuum anzupassen (Foa & Kozak, 1986). Dabei können die Patient*innen von einer therapeutischen Fachkraft begleitet und unterstützt werden (Rizzo et al., 2009). Dank VRET können Stimuli präsentiert werden, die sonst nur mit grossen Schwierigkeiten vorzufinden sind (Wiebe et al., 2022). Gedanken und Gefühle, die mit dem Trauma assoziiert sind, werden so erneut durchlebt und die Gedächtnisextinktion wird gefördert.
In einer Studie von Reger et al. (2016) wurde VRET mit virtuellen Kriegsszenen bei Soldaten mit PTBS angewendet. Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl VRET als auch prolongierte Expositionstherapie die Symptome stärker reduzieren konnten als bei der Kontrollgruppe ohne Intervention (Reger et al., 2016). Weitere Studien von Bourassa et al. (2019) und Buck et al. (2019) konnten feststellen, dass auch die Ruheherzfrequenz und der Verfolgungswahn innerhalb der Interventionsgruppen stärker abnahmen.
Auf der Grundlage der Ergebnisse von Studien, die VRET mit üblicher Expositionstherapie vergleichen, kann behauptet werden, dass die Nutzung von VR bei der Behandlung von PTBS gleich wirksam ist, wie übliche Expositionstherapie (Wiebe et al., 2022), jedoch ist die VRET nützlicher als die herkömmliche Expositionstherapie, wenn es um Fälle geht, in denen die übliche Expositionstherapie nicht anwendbar ist (Rizzo et al., 2009). Ein häufig untersuchtes Konzept, ist die Behandlung von Kriegstraumata (Freeman et al., 2017; Rizzo et al., 2009). Nichtsdestotrotz erzielt Expositionstherapie teilweise bessere Ergebnisse bei nachfolgenden Terminen (Reger et al., 2016).
Vor- und Nachteile von virtueller Expositionstherapie bei PTBS
Die Vorteile der VRET liegen grösstenteils in der präziseren und einfacheren Anwendung, im Vergleich zur üblichen Expositionstherapie (Park et al., 2019). Die individuelle und stark kontrollierbare Auswahl der Stimuli kann bei schwer nachstellbaren Traumata eine grosse Hilfe sein (Freeman et al., 2017; Wiebe et al., 2022; Rizzo et al., 2009). Ausserdem wird es in Zukunft vielleicht möglich sein, diese Expositionen von zu Hause aus durchzuführen (Freeman et al., 2017). Dazu muss weiter an der Frage geforscht werden, ob der gleiche Effekt erzielt werden kann, und welche eventuellen Risiken auftreten könnten, wenn die Therapeut*innen nicht bei der Selbstbehandlung anwesend sind. Die geringen Kosten sind ein weiterer Vorteil (Wiebe et al., 2022); sobald ein Programm entwickelt wird, kann es auf mehrere Geräte geladen werden und erlaubt so, die steigenden Gesundheitskosten einzudämmen (Wiebe et al., 2022). Insgesamt wird die Behandlung mit der Intervention von VR für PTBS weiterentwickelt und beforscht, jedoch ist der aktuelle Stand noch nicht ausreichend für eine Integration in die Routineversorgung (Tsamitros, Beck & Sebold, 2023).

Einige Wissenschaftler*innen weisen auf potenzielle Nachteile von VR hin, darunter das Risiko einer möglichen Suchtentwicklung (Park et al., 2019). Um diese Problematik zu klären, sind weitere Studien erforderlich. Ausserdem wurde auch von unerwünschten Nebeneffekten wie trockenen Augen und Schwindelgefühl beim Verwenden der Technologie berichtet (Park et al., 2019). Es wurde noch nicht ausreichend belegt, ob VRET wirklich der üblichen Expositionstherapie überlegen ist (Wiebe et al.; 2022, Freeman et al., 2017). Es bedarf also auch hier noch weiterer Forschung. Man spricht zwar davon, dass VRET auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden kann, indem günstige Programme auf das eigene Smartphone geladen werden, es wurde aber noch nicht bestätigt, ob diese Programme langfristig genau so effektiv sind, wie professionelle Programme oder vor Ort durchgeführte Expositionstherapie (Freeman et al., 2017). Ein Grossteil der Studien, die derzeit publiziert wurden, befassen sich wie bereits bemerkt mit kriegsbedingtem PTBS, interessant wären genauere Ergebnisse zu anderen Formen von Traumata (Wiebe et al., 2022; Rizzo et al., 2009).
«Trauma creates change you don’t choose; healing creates change you do choose.»
Fazit
VR ist eine vielversprechende Technologie, welche viel Potential für die Behandlung von psychischen Störungen hat. Aktuelle Studien belegen, dass die Wirkung von VRET bei PTBS genauso gut zu sein scheint wie herkömmliche Therapie; sie bergen vor allem für die zukünftigen Anwendungen ein hohes Potential. Es bestehen aber weiterhin viele offene Fragen und weitere Forschung ist dringend nötig, um den Schritt in die Praxis endgültig festzulegen.