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Alltag

Ein Blick durch die rosarote Brille

Was bei romantischer Liebe in unserem Kopf passiert
Illustration einer rosaroten Brille
Bilder: Anja Blaser

Von simpler Anziehung zum Verlangen bis hin zur Bindung – Liebe ist ein vielschichtiger Prozess. Doch wie sieht romantische Liebe im Gehirn aus? Es scheint, dass die Liebe uns mit einem ganzen Cocktail verschiedener Hormone und Neurotransmitter konfrontiert. Hier erfahrt ihr, was dieser in uns auslöst.

V erliebtsein – ein Gefühl, das praktisch alle kennen. Plötzlich hat die Welt mehr Farbe und die kleinsten Dinge sind in der Lage, uns ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Manche sprechen in diesem Kontext auch von einer aufgesetzten «rosaroten Brille», die alles in ein hübsches, warmes Licht taucht. Doch die Liebe färbt die Welt nicht nur in Rosa, sondern es heisst auch, dass Liebe blind macht und uns hindert, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Ist an diesen Sprichwörtern etwas dran? Was geschieht in unseren Gehirnen, wenn wir uns verlieben? Und was bedeutet es wirklich, wenn gesagt wird, die Hormone spielen verrückt?

Dopamin

Dopamin ist ein Neurotransmitter, der zu den Katecholaminen gehört (Gibson, 2015). Am bekanntesten ist vermutlich seine Verbindung mit belohnungsmotiviertem Verhalten. Dabei spielt dieser Neurotransmitter nicht nur beim Anstreben unmittelbarer Belohnungen eine Rolle, sondern auch beim Verfolgen langfristiger Belohnungsprozesse.

Etwas für Dopaminjunkies?

Einer der vermutlich wichtigsten Neurotransmitter im Kontext der romantischen Liebe ist Dopamin. Dopamin, das u. a. im Ventro-Temporallappen (VTA) und der Substantia nigra freigesetzt wird, steht mit dem Belohnungssystem in Verbindung (Carter, 1998; Gibson, 2015). So konnten Forschende finden, dass mit dem Belohnungssystem verbundene Hirnareale, wie der VTA und der Nucleus accumbens, stärker aktiviert sind, wenn Menschen Bilder der geliebten Person sehen (Zeki, 2007). Ausserdem zeigt sich bei Verliebten eine erhöhte Aktivität des VTA, welcher für «wanting», «craving», Fokus und die Motivation, Belohnungen zu verfolgen, verantwortlich ist (Fisher et al., 2005; TED, 2008). Gibson (2015) weist dem Neurotransmitter die Rolle zu, den Übergang von «liking» zu «wanting» zu schaffen. Sehen wir die Person, die wir lieben, setzt der VTA Dopamin in unserem Kopf frei und wir fühlen uns auf einmal unglaublich gut, ähnlich der Euphorie, die durch Kokain ausgelöst wird (Zeki, 2007). Hier beginnt das «wanting», denn startet dieser Prozess einmal, wollen wir immer mehr davon. Daher kann die Liebe tatsächlich auch mit einer Sucht verglichen werden (TED, 2008).

Umso gravierender ist ein Entzug: Der VTA wird noch aktiver, wenn die Liebe zurückgewiesen wird, was dazu führt, dass wir umso mehr lieben und begehren, aber gleichzeitig genau dies nicht bekommen (TED, 2008, 2022). Die Konsequenz: Wir fühlen uns unruhig und rastlos (TED, 2022). Doch warum reagieren wir so stark auf derartige Zurückweisungen? Kahl-Scholz (2018) vermutet, dass Trennungsschmerz den evolutionären Vorteil hat, die Fortpflanzung zu sichern, da wir einerseits versuchen, ihn in Beziehungen zu vermeiden, und andererseits im Falle einer tatsächlichen Trennung motiviert sind, nach einem anderen Partner oder einer Partnerin suchen, um diesen negativen Gefühlen zu entfliehen. Das könnte auch erklären, warum Rebounds in unserer Gesellschaft so häufig vorkommen, als eine Art der Emotionsregulation.

«Love literally inhibits functional reasoning, causing individuals to throw logic to the wind, neglect mundane responsibilities, or overlook fatal personality flaws in their perfect partners»

Gibson, 2015, S.5

Liebe macht nicht direkt blind, aber risikoaffiner und weniger kritisch

Jedoch dreht sich romantische Liebe nicht allein um Dopamin und das Belohnungszentrum. Der Nucleus accumbens wird aktiv, wenn Gewinne und Verluste abgewogen werden und wenn wir gewillt sind, enorme Risiken für hohe Gewinne und Verluste in Kauf zu nehmen, was auch bei Zurückweisungen in romantischer Liebe geschehen kann (Gibson, 2015; TED, 2008). Romantische Liebe macht also nicht nur süchtig, sondern bewegt uns dazu, hohe Risiken einzugehen, um diese Liebe nicht zu verlieren.

Gleichzeitig tritt während des Verliebtseins Serotonin in verminderter Konzentration auf, ganz ähnlich wie bei Patienten mit einer Zwangsstörung (engl. Obsessive Compulsive Disorder, OCD) (Zeki, 2007). Dies könnte erklären, warum bei der Liebe die Gedanken ständig und obsessiv um den anderen kreisen, ohne dass man sich davon abhalten kann (TED, 2008; Zeki, 2007). Die Aktivität der Amygdala fährt herunter, sodass wir enthemmter werden (Gibson, 2015). Zusätzlich wird auch der Präfrontalcortex deaktiviert, was sich negativ auf das kritische Denken und die Fähigkeit zur Urteilsbildung auswirken kann (Gibson, 2015; TED, 2008).

«Falling in love is a crazy thing to do. It's kind of like a form of socially acceptable insanity»

Jonze, S., 2017

Es scheint also, dass wir die Person, für die wir romantische Gefühle empfinden, tatsächlich in einem milderen Licht sehen. Kein Wunder, dass wir uns manchmal fragen, ob unsere frisch verliebten Kolleg*innen verrückt geworden sind. Ein gewisser Grad an Verrücktheit gehört zur Liebe dazu.

Hormone – Der etwas andere Cocktail

Im Rahmen der Forschung zur romantischen Liebe wurden auch zahlreiche Hormone untersucht. So fanden Forschende, dass bei frisch verliebten Frauen der Testosteronspiegel steigt, sodass das Selbstbewusstsein und die Libido zunehmen (Marazziti & Canale, 2004; Schneider et al., 2020). Bei Männern hingegen wurde festgestellt, dass dieser Spiegel abnimmt. Bei Cortisol sieht es ganz anders aus: Sowohl bei Frauen als auch bei Männern war das Cortisolniveau höher. Es scheint also, dass Liebe auch als Stressor wirken kann. Angesichts der Symptome, die viele frisch Verliebte zeigen, wie beispielsweise Unruhe, Schlafstörungen und Appetitlosigkeit, erscheint dieser Befund sehr plausibel.

Oxytocin

Das Hormon Oxytocin wird im Hypothalamus gebildet und ist bekannt dafür, dass es bei der Kindesgeburt und beim Stillen freigesetzt wird (Gibson, 2015; Zeki, 2007). Doch neuere Forschung konnte es ebenfalls mit den Prozessen von sozialer Bindung, dem Orgasmus und dem mütterlichen Verhalten in Verbindung bringen (Magon & Kalra, 2011).

Damit romantische Liebe entsteht, sind Risikobereitschaft, Libido und Dopamin-Kicks aber nicht genug. Auch das Konzept der Bindung spielt eine entscheidende Rolle. Hier kommen die Hormone Oxytocin und Vasopressin ins Spiel. Oxytocin, auch als Kuschelhormon bekannt, wird häufig mit sexueller Aktivität, zwischenmenschlicher Bindung und mütterlichem Verhalten in Verbindung gebracht (Carter, 1998; Schneider et al., 2020). Es wird bei Umarmungen und Massagen geliebter Personen sowie beim Orgasmus freigesetzt und fördert das Gefühl von Vertrauen und Verbundenheit (Gibson, 2015; Schneider et al., 2020). Ähnlich scheint Vasopressin eine Rolle zu spielen und ist, wie Oxytocin, in der Phase der romantischen Bindung, also bei frisch Verliebten, in erhöhter Konzentration vorhanden (Gibson, 2015; Gonzaga et al., 2006; Magon & Kalra, 2011; Zeki, 2007). Der Zusammenhang von Bindung und romantischer Liebe zeigt sich auch bei Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI): Bei Verliebten sind die Hirnareale für Bindung aktiv, wobei diese Aktivierungen bei langfristigen Paaren besonders stark sind (Fisher et al., 2005).

Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass die romantische Liebe zahlreiche Effekte auf unser Gehirn und schliesslich unser Verhalten hat. Wir werden süchtig nach der Nähe der geliebten Person, unsere Gedanken kreisen obsessiv um ebendiese und wir gleichen Verrückten, indem wir nicht mehr so gut in der Lage sind, mit der geliebten Person verbundene Inhalte logisch zu verarbeiten. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass es noch weitere Substanzen geben könnte, die mit romantischer Liebe in Verbindung stehen, aber in diesem Artikel keine Erwähnung gefunden haben, da die Forschung dazu noch etwas umstritten ist. Noch bleiben viele Geheimnisse der romantischen Liebe im Gehirn zu enthüllen. Wie unterscheiden sich beispielsweise monogame von polygamen Beziehungen in neurologischer Hinsicht? Gibt es überhaupt einen neurologischen Unterschied? Und zeigen asexuelle Personen die genannten Hirnaktivierungen möglicherweise gar nicht? Liebe ist facettenreich, ein Hormoncocktail, die Aktivierung verschiedener Hirnsysteme und zugleich ein Mysterium.

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Referenzen