Magazin für Psychologie

Mitmachen
Wandel

Ethik in der psychologischen Forschung

Von grauer Vergangenheit und hoffentlich farbiger Zukunft
Illustration eines Gehirns im Käfig
Bilder: Rebekka Stähli

Die Geschichte der Psychologie schillert in vielen verschiedenen Farben. Doch dazwischen zeigt sich auch so manches Grau und Schwarz. Was hat es mit der Ethik in der psychologischen Forschung auf sich? Eine Zusammenfassung am Beispiel des Stanford Prison Experiments.

Kann man eine Gruppe zufällig ausgewählter, unschuldiger, junger Männer in ein Gefängnis stecken, sie mit kaum mehr als einer Zahnbürste, Seife und einem einfachen Baumwollgewand ausstatten und für mehrere Tage dort festhalten, auch wenn sie darum bitten, gehen zu dürfen? Nein? Auch nicht, wenn sich dadurch wertvolles Wissen schaffen lässt?

Graue Vergangenheit

Einige ethische Überlegungen scheinen sich Philip Zimbardo und sein Forschungsteam gemacht zu haben, als sie ihr Stanford Prison Experiment durchführten. So verboten sie jenen Versuchspersonen, welche zufällig als Gefängniswärter ausgewählt wurden, den anderen Versuchspersonen, welche ebenso zufällig zu Gefängnisinsassen wurden, ernsthafte körperliche Gewalt anzudrohen oder diese auszuüben (Haney et al., 1973). Ausserdem willigten die Versuchspersonen im Voraus ein, dass sie, falls sie zu Gefangenen würden, für bis zu zwei Wochen auf einige ihrer Bürgerrechte verzichten würden. Für ihre Teilnahme am Experiment winkte im Gegenzug eine Bezahlung von 15 Dollar pro Tag.

«They [the prisoners] didn’t see it as an experiment. It was real and they were fighting to keep their identity. But we were always there to show them just who was boss.»

Haney, 1973, S.88

Die zehn Gefangenen wurden zu Beginn des Experiments von der Polizei zu Hause abgeholt. Ihnen wurden die Augen verbunden und sie wurden von einem der Versuchsleitenden zur Stanford Universität gefahren, wo sie im Keller – bekleidet mit einer Uniform – in eine Gefängniszelle gesteckt wurden. Die anderen elf Versuchspersonen, die Gefängniswärter, arbeiteten in Schichten, in denen sie laut der Einweisung zu Beginn des Experiments im Gefängnis Ordnung bewahren sollten. Dabei sollten sie auf jegliche Vorkommnisse (z. B. ein Fluchtversuch) angemessen reagieren. Die Gefangenen erhielten fortan drei einfache Mahlzeiten pro Tag und durften drei Mal unter Aufsicht die Toilette benutzen. Im Laufe der Zeit schikanierten einige der Gefängniswärter die Gefangenen immer mehr. Fünf der Gefangenen mussten frühzeitig freigelassen werden, da sie ab dem zweiten Tag der Gefangenschaft starke negative emotionale Reaktionen zeigten. Nach sechs Tagen wurde das Experiment abgebrochen. Die Schlussfolgerung der Studie: Situationale Faktoren können dazu führen, dass gesunde amerikanische Studierende innert kurzer Zeit beginnen andere Studierende zu beleidigen, zu bedrohen und zu entmenschlichen (Haney et al., 1973).

Kritik

Die Gefangenen baten darum, gehen zu dürfen, und hätten dafür sogar auf ihre Bezahlung verzichtet, welche eigentlich der einzige Anreiz für ihre Teilnahme war. Trotzdem wurden sie weiter festgehalten (Haney et al., 1973). Wie weit dürfen Forschende im Namen des wissenschaftlichen Erkenntniserwerbs gehen? Vielleicht so weit wie Zimbardo, wenn die zu erwartenden Resultate ausreichende Wichtigkeit für die Gesamtgesellschaft haben?

Savin (1973) zitiert Zimbardo, dass die Resultate keine Überraschung wären und kein neues Wissen geschaffen worden sei, dass das Experiment jedoch trotzdem sinnvoll gewesen sei. Es könne Personen die Bedeutung von sozialen Rollen aufzeigen, wenn sie diese Erkenntnis nicht aus weniger melodramatischer Forschung ziehen könnten (Savin, 1973).

«Simple lying becomes a perfectly commonplace feature of even students’ routine laboratory exercises; humiliation of subjects is not uncommon; on occasion there is a hell like Zimbardo’s.»

Savin, 1973, S. 148

Neuere Analysen und Experimente stellen ausserdem die Schlussfolgerungen des Stanford Prison Experiments infrage (Le Texier, 2019). So könnte beispielsweise argumentiert werden, dass der Umstand, dass zwei Drittel der Gefängniswärter kein sadistisches Verhalten zum persönlichen Vergnügen zeigten, eher so interpretiert werden, dass Menschen eben nicht durch situationale Umstände in Sadist*innen verwandelt werden können (Le Texier, 2019). Es stellt sich also weiterhin die Frage, ob die gelieferten, womöglich anzuzweifelnden Resultate das Leid von Zimbardos Versuchspersonen rechtfertigen. Und wer hat das zu entscheiden?

Das Stanford Prison Experiment im Kino

Der Film «Das Experiment» (2001) mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle, bei dem Oliver Hirschbiegel Regie führte, stellt das Experiment mit einigen drastischen Änderungen dar. Auch im Film sperren die Versuchsleitenden mehrere junge Männer in ein Pseudo-Gefängnis. Anfangs nehmen die Gefangenen die Geschehnisse nicht allzu ernst, doch Wärter und Gefangene merken schnell, welche Macht die Situation ersteren verleiht. Anders als in der Realität akzeptieren die Wächter den Abbruch des Experiments nicht und die Situation eskaliert. Auch wenn die filmische Inszenierung des Experiments einige Aspekte hinzugedichtet hat, lässt der Film dennoch einen gewissen Einblick in die mögliche Gefühlswelt der Wärter und der Gefangenen des Stanford Prison Experimentes zu und lässt die Zuschauenden mit einer Gänsehaut zurück. Der Film nimmt sich einige künstlerische Freiheiten heraus, dokumentiert jedoch auf fesselnde Weise einen dunklen Abschnitt der Geschichte der psychologischen Forschung.

Ethikrichtlinien

Das Stanford Prison Experiment ist ein prominentes Beispiel innerhalb der psychologischen Forschung, wenn es um ethische Diskussionen geht. Ethische Überlegungen wurden aber auch schon vorher und in anderen wissenschaftlichen Disziplinen angestellt. In der Medizin markiert der Nürnberger Kodex aus dem Jahr 1946 formal den Beginn der Forschungsethik (Fisher & Anushko, 2008). Dieser war die internationale Reaktion auf die Grausamkeit medizinischer Experimente während der Zeit des Nationalsozialismus. Dieser Kodex, welcher unter anderem die Freiwilligkeit der Teilnahme an Versuchen festlegt und bestimmt, dass unnötige körperliche und seelische Leiden vermieden werden müssen (Groß, 2014), hatte wenig Einfluss auf die tatsächliche medizinische und sozialwissenschaftliche Forschung (Fisher & Anushko, 2008).
Verschiedene Organisationen verschrieben sich der Erstellung von Ethikrichtlinien, an welche sich Forschende in Bezug auf ihre Versuchspersonen halten sollten. Den entstandenen nationalen und internationalen Richtlinien liegen meist drei ethische Prinzipien zugrunde: Wohltätigkeit – maximaler Nutzen bei minimalem Schaden, Respekt – Versuchsteilnahme muss informiert, begründet und freiwillig sein, und Gerechtigkeit – Nutzen und Schaden der Forschung müssen gleichmässig über Populationen verteilt sein (Fisher & Anushko, 2008).

Die American Psychological Association (APA) veröffentlichte bereits 1953 die ersten Ethikrichtlinien für Forschung, Lehre und Praxis, die allerdings noch wenig Anwendung in der Forschung fanden (Fisher & Anushko, 2008). Ein Grund dafür könnte sein, dass die Richtlinien breit und unkonkret formuliert waren, und erst spätere Versionen konkrete operationale Standards formulierten (Fisher & Anushko, 2008). Die aktuelle Version der APA Ethikrichtlinien wurde 2003 herausgegeben und 2010 und 2016 überarbeitet.

Einhaltung der Ethikrichtlinien

Trotz allem bleiben Ethikrichtlinien abstrakt und bei der Umsetzung bleibt viel Spielraum. Aus diesem Grund gibt es institutionalisierte Prüfverfahren durch Ethik-Kommissionen, welche die Aufgabe übernehmen, Forschungsvorhaben mit Menschen auf die Einhaltung forschungsethischer Grundsätze zu prüfen (Von Unger & Simon, 2016). Diese werden üblicherweise von Forschungsinstitutionen eingerichtet und mit Angehörigen derselben besetzt.

Die Philosophische Fakultät der Universität Zürich (der auch das Psychologische Institut zugeordnet ist) hat eine eigene Ethik-Kommission, bestehend aus mindestens sieben Mitgliedern – die Mehrheit davon Professor*innen – aus verschiedenen Forschungsgebieten (Fakultätsversammlung der Philosophischen Fakultät, 2020). Auf der Webseite ist nachzulesen: «Untersuchungen, die am Psychologischen Institut der Universität Zürich durchgeführt werden, sind nur zulässig, wenn die Ethical Principles of Psychologists and Code of Conduct der American Psychological Association (APA) und den Ethischen Richtlinien für Psychologinnen und Psychologen der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie (SGP) eingehalten werden» (Universität Zürich, n.d.).

Farbige Zukunft?

Dank Ethikrichtlinien und -Kommissionen scheint das graue Kapitel ethisch fragwürdiger psychologischer Experimente vorbei zu sein und Experimente wie das Stanford Prison Experiment sollten verhindert werden können. Trotz allem liegt es letztlich an den Forschenden, ethische Wissenschaft zu betreiben. Es bleibt zu hoffen, dass diese sich ihrer Verantwortung bewusst sind.

Zum Weiterlesen

  • Haney, C., Banks, C., & Zimbardo, P. (1973). Interpersonal Dynamics in a Simulated Prison. International Journal of Criminology & Penology, 1, 69–97.
  • Le Texier, T. (2019). Debunking the Stanford Prison Experiment. American Psychologist, 74(7), 823–839. https://doi.org/10.1037/amp0000401
  • Sinclair, C. (2017). Ethics in psychology: Recalling the past, acknowledging the present, and looking to the future. Canadian Psychology / Psychologie Canadienne, 58(1), 20–29. https://doi.org/10.1037/cap0000086

Referenzen

  • American Psychological Association. (2017). Ethical principles of psychologists and code of conduct (2002, amended effective June 1, 2010, and January 1, 2017). http://www.apa.org/ethics/code/index.html
  • Fakultätsversammlung der Philosophischen Fakultät. (2020). Geschäftsordnung der Ethikkommission der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich (GO Ethikkommission PhF).
  • Fisher, C. B., & Anushko, A. E. (2008). Research Ethics in Social Science. In P. Alasuutari, L. Bickman, & J. Brannen (Eds.), The SAGE Handbook of Social Research Methods (pp. 95–109). SAGE Publications.
  • Groß, D. (2014). Nürnberger Kodex. In C. Lenk, G. Duttge, & H. Fangerau (Eds.), Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen (pp. 559–563). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-35099-3_88
  • Haney, C., Banks, C., & Zimbardo, P. (1973). Interpersonal Dynamics in a Simulated Prison. International Journal of Criminology & Penology, 1, 69–97.
  • Le Texier, T. (2019). Debunking the Stanford Prison Experiment. American Psychologist, 74(7), 823–839. https://doi.org/10.1037/amp0000401
  • Savin, H. B. (1973). Professors and psychological researchers: Conflicting values in conflicting roles. Cognition, 2, 147–149. http://dx.doi.org/10.1016/0010-0277%2872%2990034-0
  • Von Unger, H., & Simon, D. (2016). Ethikkommissionen in den Sozialwissenschaften ‒ Historische Entwicklungen und internationale Kontroversen. RatSWD Working Paper Series. https://doi.org/10.17620/02671.23