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Das sieht doch ein Blinder!

Ableismus oder die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen
Illustration eines Mannes mit Hörgerät
Bilder: Janice Lienhard

Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist im Alltag an vielen Orten festzustellen, sei es strukturell oder interpersonell. Was ist «Ableismus»?

D er Titel dieses Artikels ist ein Beispiel für ableistische Sprache, die viele von uns nutzen, ohne darüber nachzudenken. Ähnlich wie Rassismus und Sexismus kann Ableismus als soziales Phänomen definiert werden: Ableismus bezeichnet Stereotype, Vorurteile, Diskriminierung und soziale Unterdrückung von Menschen mit Behinderungen (Bogart & Dunn, 2019). Mit Fokus auf die entmenschlichende Komponente wird Ableismus auch als Netzwerk von Überzeugungen, Prozessen und Verhaltensweisen verstanden, welche einen Standard für den perfekten, spezies-typischen und somit vollkommenen Zustand des Menschseins vermitteln. Beeinträchtigung wird im Kontrast zu diesem Bild als verminderter Zustand des Menschseins dargestellt (Campbell, 2001). Ableismus äussert sich zum einen auf struktureller Ebene, wie beispielsweise in fehlender Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden, sowie in politischen Bedingungen, welche den Zugang zu Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Bildung erschweren (Wang et al., 2019). Zum anderen zeigt sich Ableismus auch auf interpersoneller Ebene, zum Beispiel in Form von Feindseligkeit und Gewalt sowie in bevormundendem Verhalten wie unerwünschter Hilfeleistung (Wang et al., 2019).

Was ist Behinderung?

Auch Behinderung kann mit unterschiedlichem Fokus definiert werden. Das medizinische Modell, welches in der westlichen Kultur vorherrscht, betrachtet Behinderung als individuelle Pathologie oder Abweichung von einer Norm, also als Problem der Person, für welches als Lösung Heilung oder Assimilation angestrebt wird (Olkin & Pledger, 2003). Das soziale Modell hingegen fasst Behinderung als soziales Konstrukt auf, welches daraus entsteht, dass die Gesellschaft für manche Menschen mit ihrem Körper und/oder ihrer Psyche nicht zugänglich ist und ihnen gegenüber Vorurteile hat. Der Fokus liegt hierbei darauf, dass die Veränderung durch die Gesellschaft passieren muss, nicht durch die betroffenen Individuen selbst (Olkin & Pledger, 2003).

Folgen von Ableismus

Ableistisches Verhalten kann bei Personen mit Behinderungen verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen (Dunn, 2019). Übernehmen die Personen die ableistischen Sichtweisen, versuchen sie womöglich, aufgrund dieses internalisierten Ableismus ihre Behinderung zu verstecken oder meiden den Kontakt zu anderen Menschen mit Behinderungen. Stigmatisierung und Stereotypisierung können dazu führen, dass Personen ohne Behinderung auf Personen mit Behinderung zugehen (aufgrund der ihnen zugeschriebenen Wärme, Vertrauenswürdigkeit und Freundlichkeit), aber ihnen gleichzeitig Inkompetenz unterstellen und bevormundendes Verhalten zeigen (z. B. kindgerechte Sprechweise oder unerwünschte Hilfe; Dunn, 2019). Erlebte und internalisierte Stigmatisierung tragen zu Minderheitenstress bei, was mit negativen psychischen und gesundheitlichen Konsequenzen in Verbindung gebracht wird (Bogart & Dunn, 2019).

Was tun?

Im Internet gibt es viele Ressourcen, welche sich mit dem Thema Ableismus befassen. Die Webseite leidmedien.de ist ein Projekt, welches Medienschaffende (und Interessierte) informiert, «um Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen abzubauen und Begegnungen zwischen nicht behinderten und behinderten Menschen zu schaffen» (Über das Projekt – leidmedien.de, o. D.). Denn wenn man dem Thema eine gewisse Aufmerksamkeit zukommen lässt, ist Ableismus im Alltag – wie der Titel in unangebrachter, diskriminierender Sprache zum Ausdruck bringt – offensichtlich.

Zum Weiterlesen

  • Bogart, K. R., & Dunn, D. S. (2019). Ableism Special Issue Introduction. Journal of Social Issues, 75(3), 650–664. https://doi.org/10.1111/josi.12354
  • Leidmedien.de. (o. D.). https://leidmedien.de/

Referenzen

  • Bogart, K. R., & Dunn, D. S. (2019). Ableism special issue introduction. Journal of Social Issues, 75(3), 650–664. https://doi.org/10.1111/josi.12354
  • Campbell, F. K. (2001). Inciting legal fictions: ‘Disability’s’ date with ontology and the ableist body of the law. Griffith Law Review, 10(1), 42–62.
  • Campbell, F. K. (2008). Refusing able(ness): A preliminary conversation about ableism. M/C Journal, 11(3). https://doi.org/10.5204/mcj.46
  • Dunn, D. S. (2019). Outsider privileges can lead to insider disadvantages: Some psychosocial aspects of ableism. Journal of Social Issues, 75(3), 665–682. https://doi.org/10.1111/josi.12331
  • Leidmedien.de. (o. D.). https://leidmedien.de/
  • Olkin, R., & Pledger, C. (2003). Can disability studies and psychology join hands? American Psychologist, 58(4), 296–304. https://doi.org/10.1037/0003-066X.58.4.296
  • Wang, K., Walker, K., Pietri, E., & Ashburn‐Nardo, L. (2019). Consequences of confronting patronizing help for people with disabilities: Do target gender and disability type matter? Journal of Social Issues, 75(3), 904–923. https://doi.org/10.1111/josi.12332