Die kleine Schwester der Midlife Crisis ist zwar weniger bekannt, tritt jedoch bei jungen Erwachsenen mit einer Häufigkeit von zwei Dritteln bis drei Vierteln relativ verbreitet auf. In dieser Lebensphase stehen entscheidende Weichenstellungen in Bereichen wie Beruf, Beziehungen und Lebensgestaltung an – Entscheidungen, die langfristige Konsequenzen haben können und oft zu Unsicherheit führen.
D ie Debatte, ob die berühmte Midlife Crisis überhaupt existiert, wird mit der Diskussion um die Quarterlife Crisis weitergeführt. Der Fokus der Midlife Crisis liegt in der Realisation, dass der eigene Tod immer näher rückt. Damit verbunden ist der Rückblick auf die erbrachten Leistungen im Leben und drastischen Veränderungen, um sich lang ersehnte Wünsche zu erfüllen (Freund & Ritter, 2008). Die Quarterlife Crisis hingegen ist in den Populärmedien definiert als eine «Identitätskrise», die Betroffene in ein Befinden depressiver Symptomatik, Angstzustände («Anxiety») und starker Zweifel versetzt (Rossi & Merbert, 2011).
Anxiety
Eine Emotion, die durch Befürchtungen und somatische Anspannungssymptome gekennzeichnet ist, bei denen eine Person eine bevorstehende Gefahr, Katastrophe oder ein Unglück erwartet (American Psychological Association, n.d.).
Die Frage, ob man zur Gesellschaft überhaupt etwas beitragen kann, kann im jungen Erwachsenenalter sogar zu Panikattacken führen (Andonian & Mac Rae, 2011). Eine LinkedIn-Umfrage aus dem Jahr 2022 – durchgeführt in den USA, Grossbritannien, Australien und Indien – zeigt, dass etwa 75 Prozent der 25- bis 30-Jährigen eine Quarterlife Crisis erleben. Die empirische Befundlage dazu ist jedoch kontrovers. Während Rossi & Merbert (2011) die Existenz des Phänomens aufgrund ihrer durchgeführten Studie zur Thematik anzweifeln, sprechen Hasyim et al. (2024) auf Basis eines umfassenden Literaturreviews klar für dessen Existenz. Arnett (2011) wiederum betont, dass die Quarterlife Crisis vor allem in industrialisierten Gesellschaften zu beobachten ist.
«Diese Krise bezeichnet eine längere Phase der Desorientierung, in der man sich fragt, wo man hingehört und was man will.»
Mehr als nur ein Modewort
Die Quarterlife Crisis beschreibt laut Robins & Wilner (2001) einen Übergang von einer geschützten Lebensweise hin zu einer eigenverantwortlichen Existenz, die stark von der Realität und Zukunftsängsten geprägt ist. Dieser Entwicklungsprozess betrifft in der Regel Menschen zwischen 20 und 29 Jahren (Robins & Wilner, 2001). Schwierigkeiten während dieses Prozesses resultieren aus externen Einflüssen sowie internen Dynamiken (Robins & Wilner, 2001).
Häufige emotionale Reaktionen äussern sich durch Ärger über die jeweilige Situation, Gefühle der Ängstlichkeit und Machtlosigkeit sowie die Unklarheit über zukünftige Ziele. Daraus resultieren oft Stress, Verzweiflung oder sogar psychische Störungen (Robins & Wilner, 2001).

Von Auslösern bis Auswirkungen
An einem gewissen Punkt nach der Adoleszenz gilt es, für sich selbst wichtige Fragen – beispielsweise zu den Themen Familiengründung, Berufswahl und persönlichen Zielen – zu klären. Während zuvor viele Lebensschritte gesellschaftlich vorgegeben waren, scheint nun alles möglich – ein Zustand, der schnell überfordernd wirken kann (Hasyim et al., 2024). Je älter jemand wird, desto stärker wächst zusätzlich der Druck, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen (Hasyim et al., 2024).
Hasyim et al. (2024) definieren anhand ihres systematischem Literaturreviews zwölf interne sowie zehn externe Faktoren, die zu einer Quarterlife Crisis beitragen. Zu den internen Einflüssen zählen die Auseinandersetzung mit den Themen Zielengagement, Religion und Spiritualität, «Anxiety», Identitätsfindung, Selbstvertrauen und -wirksamkeit, Selbstoffenbarung, Motivation, Optimismus und Pessimismus, Selbstreflexion, Emotionsregulation, Stress aufgrund Lebensaufgaben sowie Unsicherheit über die Zukunft. Externe Einflüsse, die eine Rolle für das Erleben einer Quarterlife Crisis spielen, sind soziale Beziehungen, das Alter (20 bis 30 Jahre), das Geschlecht (Frauen sind häufiger betroffen), finanzielle Belastungen, Berufsstress, Trennungen, Lifestyle-Faktoren (wie Reisen, Alkohol, Fitness), Ethnie sowie soziale Erwartungen.
Einflüsse
Alter, Geschlecht und soziale Unterstützung stellen die externen Hauptfaktoren, Spiritualität, Ängstlichkeit und Zielengagement die internen Hauptfaktoren dar, die eine Quarterlife Crisis beeinflussen.
Die Folgen des Erlebens einer Quarterlife Crisis können gravierend sein. Personen, die eine solche Krise erfahren haben, leiden häufiger unter Gefühlen der Traurigkeit, Ängstlichkeit, Depressionen oder sogar posttraumatischen Störungen. Auch die spätere Berufsentscheidung sowie die Gestaltung von Liebesbeziehungen werden durch die Quarterlife Crisis beeinflusst (Hasyim et al., 2024). Es handelt sich also keineswegs um ein «Luxusproblem», sondern um ein ernstzunehmendes Entwicklungsphänomen.
Mit der Quarterlife Crisis leben und daran wachsen
Trotz jüngsten Entwicklungen, die aufzeigen, dass die Quarterlife Crisis eine nicht zu vernachlässigende Erscheinung ist, ist die wissenschaftliche Befundlage dazu limitiert. Bisher wurden auch noch keine Interventionen für den Umgang mit ihnen implementiert (Hasyim et al., 2024). Um die psychischen Folgen nach einer Quarterlife Crisis zu verringern, besteht daher dringender Bedarf an empirischer Forschung sowie praxisorientierten Hilfsangeboten für junge Erwachsene.
Es sind jedoch nicht nur negative Folgen einer Quarterlife Crisis zu erwarten – im Gegenteil. Diese Lebensphase zwischen 20 und 29 Jahren ist charakterisiert durch das Entdecken von Möglichkeiten sowie dem Treffen von wichtigen Entscheidungen in der Arbeit, der Liebe und der eigenen Sicht der Welt (Arnett, 2011). Dies bietet Raum für Selbstfindung und Neuorientierung. Positive Gefühle können auch durch die Freiheit, die in diesem Zeitraum meist grösser ist als in allen anderen Phasen des Lebens, hervorgerufen werden (Arnett, 2011). Zudem beginnen junge Erwachsene gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, was das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit stärken kann (Arnett, 2011).
Zwischen Herausforderung und Möglichkeit
Die Quarterlife Crisis ist ein reales und verbreitetes Phänomen, das junge Menschen an einem entscheidenden Punkt ihrer Entwicklung betrifft und nicht zu vernachlässigende Konsequenzen mit sich ziehen kann. Sie ist jedoch nicht nur als Problem, sondern auch als Möglichkeit zu verstehen – zur Selbstreflexion, Reifung und aktiven Lebensgestaltung. Zwischen Orientierungslosigkeit und Selbstentfaltung verläuft allerdings ein schmaler Grat. Umso wichtiger ist es, diese Krise ernst zu nehmen und Behandlungsmöglichkeiten zu gestalten. Eine wünschenswerte Entwicklung wäre daher die Ermöglichung einer offenen Diskussion anstelle der Tabuisierung dieser Thematik, um die Quartelife Crisis für die betroffenen Individuen zu etwas Positiven zu wenden.