Magersucht (Anorexia nervosa) ist ein komplexes Thema. Betroffene wie auch Mitmenschen leiden immens. Aber aus welchen Gründen entsteht die Magersucht überhaupt? Und welche Genesungsmöglichkeiten gibt es dafür?
Bei der Anorexia nervosa können zwei Typen unterschieden werden. Erstens wird in der Forschung vom restrictive type gesprochen, welcher Gewichtskontrolle durch stringente Kontrolle der Nahrungsaufnahme vollzieht. Der zweite Typ ist der binge-eating/purging type, welcher abwechselnd zu viel Nahrung zu sich nimmt und diese dann wieder hocherbricht (Winston, 2012). Der zweite Typ zeigt somit bulimische Verhaltensweisen (Winston, 2012).
A norexia nervosa ist eine psychische Erkrankung, bei welcher betroffene Personen die Einnahme von Nahrung auf ungesunde Mengen begrenzen. Diese Begrenzung kann einerseits durch das Verweigern von Nahrung eintreten, oder durch selbstausgelöstes Erbrechen, durch übermässigen Sport und/oder Einsatz von Abführmitteln. Es gibt auch weniger bekannte Formen der Essensregulation. Zu diesen gehören der Gebrauch von Diuretika, welche Medikamente zur Gewichtsreduktion sind (Winston, 2012). Des Weiteren wird manchmal auch Thyroxin verwendet, welches bei einer zu hohen Dosierung zu Gewichtsverlust führen kann (Drugs.com, 2024). Andere Betroffene nehmen Brechmittel zu sich oder konsumieren Übermengen an koffein-haltigen Getränken, um ihre Nahrungsaufnahme und -ausscheidung kontrollieren zu können. Es kommt zudem vor, dass Personen mit Anorexia nervosa, welche Typ 1 Diabetes haben, sich zu viel Insulin spritzen, um ihr Gewicht kontrollieren zu können (Winston, 2012). Das Verhalten, welches mit dieser Krankheit einhergeht, kann zu physiologischen Ungleichgewichten des Körpers führen (Winston, 2012). Hierzu zählen beispielsweise Kaliummangel, Herzrhythmusstörungen, Nervenerkrankungen, Osteoporose (Knochenschwund) und weitere.
Im schlimmsten Fall kann Magersucht lebensbedrohlich sein (Winston, 2012). Eine Studie von Harris und Barraclough (1998) legt mit ihrem Auswertungsmaterial von hauptsächlich Nordamerika, Skandinavien und Grossbritannien, aber auch anderen Teilen von Europa und der Welt dar, dass die höchste Todesrate von psychischen Krankheiten von der Anorexia nervosa ausgeht.
Gründe für die Erkrankung
Was aber sind Gründe oder Auslöser für Magersucht? Gemäss der Forschung wirken genetische Veranlagungen entscheidend bei der Entwicklung dieser Krankheit mit. Des Weiteren gibt es Hinweise, welche auf Gehirnscans beruhen, dass Anorexia nervosa bei bestimmten Familienstrukturen auftreten kann. Morris und Twaddle (2007) beschreiben «obsessive, perfektionistische und kompetitive» Familien, welche möglicherweise auch autistische Züge in sich tragen, als Risikofaktor. Jedoch gibt es auch gesunde Familienstrukturen, in welchen magersüchtige Betroffene aufwachsen können (Morris & Twaddle, 2007). Dies weist darauf hin, dass diese Krankheit als Resultat einer Wechselwirkung von verschiedenen Faktoren entsteht. Passend dazu zeigen Forschungsergebnisse, dass sowohl Faktoren aus der Umwelt als auch genetische Faktoren in der Entwicklung von Anorexia nervosa eine Rolle spielen. Dazu gehören die Idealisierung von Schlankheit und intrinsische Charaktereigenschaften einer Person (Culbert et al., 2015). Die Idealisierung der Dünnheit kann beispielsweise durch die Medien geschehen, durch einen inneren oder äusseren Druck, oder die Erwartungshaltung, dünn sein zu müssen (Culbert et al., 2015). Die Charaktereigenschaften, welche zu Anorexia nervosa beitragen, sind negative Emotionen, Perfektionismus und die sogenannte negative urgency (Culbert et al., 2015). Negative urgency wird definiert als «tendency to engage in rash action when distressed» (Culbert et al., 2015, S. 1148). Andere Forschende sehen zudem Anorexia nervosa als mögliches Resultat einer fat phobia oder weight phobia (Touyz et al., 2023). Ebenso gibt es die Möglichkeit, dass eine gestörte Neurotransmittersignalisierung der Hauptgrund für diese Krankheit sein könnte. Damit gemeint sind neurostrukturelle Veränderungen beim Auftreten von Magersucht und Anomalien in den Belohnungs- und somatosensorischen Verarbeitungsnetzwerken des Gehirns (Touyz et al., 2023). Anorexia nervosa wurde sowohl in westlichen als auch nicht-westlichen Kulturen gefunden (Culbert et al., 2015). Interessanterweise liess sich zeitgleich zu einem Anstieg an europäischen Einflüssen in nicht-europäischen Kulturen, zum Beispiel durch westliche Fernsehprogramme, eine wachsende Zahl von Fällen von Bulimia nervosa verzeichnen (Culbert et al., 2015).
«Optimism is a strategy for making a better future. Because unless you believe that the future can be better, it’s unlikely you will step up and take responsibility for making it so. If you assume that there’s no hope, you guarantee that there will be no hope»
Behandlungsmöglichkeiten
Der Fokus der Forschung zu Anorexia nervosa lag bisher auf jungen Frauen (Culbert et al., 2015). Aufgrund dessen empfehlen Culbert et al. (2015), dass männliche Teilnehmer bei Studien zu Anorexia nervosa vermehrt einbezogen werden sollten, um möglicherweise Faktoren ausfindig zu machen, welche für die höhere Anzahl von weiblichen Betroffenen verantwortlich sein könnten. Des Weiteren ist es wichtig, mehr männliche Betroffene, aber auch Kinder und ältere erwachsene Personen zu der Krankheit zu befragen, um die möglicherweise abweichenden Risikofaktoren herauszufinden (Culbert et al., 2015). Obwohl das «monster within» bei manchen auch nach einer erfolgreichen Gewichtszunahme noch nicht gezähmt ist, fokussieren viele Behandlungen noch heute auf letztere (Touyz et al., 2023, S.6). Eine alternative, vielversprechende Heilungsmethode für Magersucht ist die Sprechtherapie, welche von der extremen Reflexivität der magersüchtigen Personen ablenken soll (Ben-Meir et al., 2009). Denn Forschende beobachten eine sogenannte hyperreflectivity, welche mit dem oben erwähnten Perfektionismus und anderen Charaktereigenschaften in Zusammenhang steht (Ben-Meir et al., 2009). Diese übermässige Selbstreflexion fokussiert sich vor allem auf den Körper und das Körpergewicht der betroffenen Personen. Die Sprechtherapie, welche Ben-Meir et al. (2009) vorschlagen, soll helfen, von dieser Art des Denkens wegzukommen und den Patient*innen erlauben, wieder mehr ihre eigenen Gefühle zu wahrzunehmen. Bei Fällen, in welchen die Sprechtherapie nicht anspricht, erwähnen Touyz et al. (2023) die von Psilocybin begleitete Psychotherapie als Möglichkeit, da diese bisher vielversprechende Erfolge auf mentaler und körperlicher verzeichnen konnte. Ebenso könnten Non-invasive brain stimulation (NIBS) und Deep Brain Stimulation (DBS) oder Hormone möglicherweise Heilung verschaffen. Diese Möglichkeiten müssten aber alle noch systematisch untersucht und getestet werden. Darüber hinaus rufen Touyz et al. (2023) dazu auf, mehr Geld in die Findung eines Heilungsmittel zur kompletten Elimination dieser Krankheit zu investieren.