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Gifted?

Leidensdruck bei Hochbegabung
Bilder: Lea Frischknecht

Überflieger zu sein scheint das Leben leichter zu machen, aber ist es wirklich immer toll? In diesem Artikel geht es um die akademische und soziale Entwicklung von hochbegabten Menschen. Dabei wird nach einer Beschreibung des Konzepts unter anderem auf negative Aspekte wie Unterforderung, aber auch Stigmatisierung und Neid eingegangen.

W enn man Serien wie Suits anschaut oder für die anstehende Klausurenphase büffelt, wünscht man sich vielleicht ab und zu, überdurchschnittlich intelligent und begabt zu sein. Und es stimmt, in manchen Bereichen ist hohe Begabung von Vorteil. Beispielsweise erreichen hochbegabte Kinder mit einer höheren Wahrscheinlichkeit gute schulische Leistungen (Preckel & Vock, 2020) und später höhere akademische Abschlüsse als die Gesamtbevölkerung (Lubinski & Benbow, 2006). Allerdings kann Hochbegabung auch mit negativen akademischen und persönlichen Entwicklungen einhergehen.

Hochbegabung gleich hoher IQ?

Zunächst ist es wichtig, den Begriff der Hochbegabung genauer zu erfassen. Bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt sich die Idee, dass Hochbegabung vor allem durch einen überdurchschnittlich hohen Intelligenzquotienten charakterisiert ist (Brunner et al., 2005). Inzwischen vertreten die meisten Expert*innen die Meinung, dass bei Hochbegabung neben Intelligenz noch andere Eigenschaften und deren Zusammenspiel mit der Umwelt einer Person eine Rolle spielen. Als hochbegabt kann nach dieser Definition jemand bezeichnet werden, der*die wahrscheinlich einmal Leistungsexzellenz erreichen wird (Ziegler, 2018).

«Die Überzeugung, dass eine Hochbegabung im Kern nichts anderes sei als eine hohe Intelligenz, wird zwar heute nur noch von wenigen Hochbegabungsforschern vertreten, sie dominiert aber unter Praktikern, Bildungspolitikern und Verbänden. Das wohl am häufigsten verwendete Hochbegabungskriterium verlangt einen Intelligenzquotienten von mindestens 130.»

Ziegler, 2018, S. 20

Zusammenhang zwischen Intelligenz und Leistung

Das Schlüsselwort ist hierbei «wahrscheinlich», denn dass ein*e Hochbegabte*r in jedem Fall exzellente Leistungen erbringen wird, ist nicht gegeben. Sogenannte «Underachiever» haben trotz überdurchschnittlicher Begabung Probleme, in der Schule gute oder durchschnittliche Leistungen zu zeigen (Fleiß, 2003). Die Schätzungen zum Anteil der Underachiever unter hochbegabten Schüler*innen fallen mit Ergebnissen zwischen 11 und 50 Prozent sehr unterschiedlich aus, was unter anderem an der uneinheitlichen Definition von Underachievement und der diagnostischen Verfahren liegt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Jungen im Durchschnitt häufiger betroffen sind als Mädchen und Underachievement öfter in sozial schwachen Familien und bei Minderheiten auftritt (Preckel & Vock, 2020).

Underachievement und Motivationsverlust in der Schule

Gründe für Underachievement sind vielfältig und können individueller, familiärer oder schulischer Natur sein. Beispielsweise spielen Eigenschaften des*r Schülers*in wie Lerntechniken und Selbstregulation eine Rolle. Aber auch Merkmale des Unterrichts können die Entwicklung von Hochbegabten negativ beeinflussen: Ein starrer Lehrplan mit wenig Differenzierung, eine fehlende Passung zwischen den Fähigkeiten der Schüler*innen und dem Unterrichtsangebot und zu hohe oder zu niedrige Erwartungen der Lehrkraft können sich negativ auf die Leistungs- und Lernmotivation und das Selbstkonzept von Betroffenen auswirken. Dabei sollte erwähnt werden, dass Underachievement für verschiedene Personen unterschiedlich belastend sein kann. Bei ungünstigen Umständen können Motivationsverlust, das Wiederholen einer Klasse, häufiger Schulwechsel und soziale Probleme die Folge sein (Preckel & Vock, 2020).

«Ein Mangel an Herausforderungen kann […] dazu führen, dass sich Kinder keine hohen Leistungsziele mehr setzen, die Rolle von Anstrengung und Übung unterschätzen und zu selten die Erfahrung machen, Herausforderungen bewältigen zu können, womit es schwerer wird, Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu entwickeln.»

Preckel & Vock, 2020, S. 134

Vorurteile und Stigmatisierung

Während Hochbegabung allgemein mit einer hohen gesellschaftlichen Wertschätzung verbunden ist (Ziegler, 2018), werden hochbegabte Personen in Bezug auf ihre sozialen Fähigkeiten oft (fälschlicherweise) als weniger kompetent angesehen. Zudem kann Hochbegabung bei manchen Menschen Angst vor Unterlegenheit oder auch Neid auslösen. Diese Art von Stigmatisierung kann bei Hochbegabten aus Furcht vor Ablehnung zu maladaptiven Bewältigungsstrategien wie einer Verleugnung der eigenen Begabung führen (Preckel & Vock, 2020).

Exkurs: Erklärung von Begabung in der Geschichte

Herausragende Leistungen werden erst seit etwa 140 Jahren mit Begabung oder Talent erklärt. Lange Zeit wurden theologische oder mythologische Ansätze herangezogen, um außergewöhnliche Taten und «übermenschliche» Leistungen zu begründen. Besondere Klugheit offenbarte göttliche Abstammung oder Gnade. Platon nannte nach unserem Verständnis hochbegabte Kinder «himmlisch» (Ziegler, 2018). Der Gilgamesch-Epos, eine der ältesten überlieferten schriftlichen Dichtungen, handelt vom sumerischen König Gilgamesch, der aufgrund seiner außergewöhnlichen Stärke und Furchtlosigkeit als zu zwei Dritteln göttlich beschrieben wurde (Gilgamesch-Epos, 2022). Erst ab circa dem 14. Jahrhundert nach Christus wurde im europäischen Sprachraum Begabung allmählich an die Individualität der Person geknüpft (Ziegler, 2018).

Fazit

Bei hochbegabten Personen ist ein komplexes Zusammenspiel von kognitiven Fähigkeiten, Persönlichkeitsvariablen und dem sozialen Umfeld einer Person für die weitere Entwicklung verantwortlich.

Während viele Hochbegabte akademisch und privat erfolgreich sind, gibt es bei manchen eine Diskrepanz zwischen ihrem eigentlichen Potenzial und den gezeigten Leistungen. Gründe hierfür können unter anderem Unterforderung in der Schule oder Angst vor Stigmatisierung sein. Empirisch gibt es keine Belege für eine Häufung von psychischen Problemen bei Hochbegabten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Trotzdem kann bei einigen Betroffenen ein persönlicher Leidensdruck entstehen. Deshalb ist es wichtig, Hochbegabte beispielsweise im Rahmen ihrer schulischen Ausbildung zu erkennen und adäquat zu fördern.

Zum Weiterlesen

  • Ziegler, A. (2018). Hochbegabung. Utb Gmbh.

Referenzen

  • Brunner, E., Gyseler, D., & Lienhard, P. (2005). Hochbegabung – (k)ein Problem?. Handbuch zur interdisziplinären Begabungs- und Begabtenförderung. Klett.
  • Fleiß, I. (2003). Hochbegabung und Hochbegabte: mit Berichten Betroffener. Tectum Verlag DE.
  • Gilgamesch-Epos. (2022, 22.11.). In Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Gilgamesch-Epos#Das_Epos
  • Lubinski, D., & Benbow, C. P. (2006). Study of mathematically precocious youth after 35 years: Uncovering antecedents for the development of math-science expertise. Perspectives on psychological science, 1(4), 316-345.
  • Preckel, F., & Vock, M. (2020). Hochbegabung: Ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten. Hogrefe Verlag GmbH & Company KG.
  • Ziegler, A. (2018). Hochbegabung (3th ed.). Utb Gmbh.