Magazin für Psychologie

Mitmachen
Syndrom

Depression

Was ist da noch normal?
Bilder: Anja Wullschleger

Ein Erfahrungsbericht über Depression. Wie hat sie sich entwickelt, wie war das Leben mit ihr und wie war mein Weg, um mich davon zu befreien.

I ch studiere Elektrotechnik im Master an der ETH, zuvor habe ich meinen Bachelor in Elektrotechnik an der ZHAW gemacht. Ich schreibe hier meine Erfahrungen und Lehren, die ich mit einer Depression gemacht habe. Dieser Bericht ist aus dem Blickwinkel eines Laien verfasst, ich interessiere mich für Psychologie aber bin in keiner Weise vom Fach.

MeWell besteht aus Studierenden und Mitarbeitenden der Zürcher Hochschulen. Wir engagieren uns für einen besseren Umgang mit psychischer Gesundheit an den Universitäten und möchten das Stigma reduzieren. Wir organisieren monatlich Workshops oder Referate. Zusätzlich sind wir ein Informationshub für Personen, die eine Anlaufstelle in Bezug auf psychische Gesundheit suchen. Als längerfristiges Ziel möchten wir eine Peer-Community aufbauen, die einen geschützten Rahmen zum Austausch zwischen Betroffenen und Interessierten bietet und es ermöglicht, Kontakte zu knüpfen.

Wie hat es angefangen

So etwas erwartet man natürlicherweise nicht. Es war ein prägendes Erlebnis, während ich im Dienst im Militär war, welches den Anstoss für meine Depression gegeben hat. Damals habe ich mir nicht viel dabei gedacht, und es hat sich auch nicht direkt ein Unterschied in meinem Denken und Fühlen eingestellt.

Dieses Erlebnis hat eine langsame, aber stetige Veränderung mit sich gebracht. Es war wie ein konstantes Rutschen auf einer eisigen Ebene. Die Welt verlor allmählich ihre Farbe, ich kam immer mehr in negative Spiralen, selbstkritische, und selbstschadende Gedanken und Handlungen.

Eines Tages habe ich gemerkt, dass es sich anfühlt, als ob in meinem Inneren eine Flamme ausgegangen wäre. Spätestens dann sollte mir klar gewesen sein, dass etwas nicht mehr in Ordnung war. Ich wusste nicht, wie weit der Weg zur Heilung noch sein wird, und war mir über die anstehende Arbeit überhaupt nicht bewusst.

Wie war es im Verlaufe der Krankheit

Während meiner Zeit mit der Depression habe ich viele Phasen durchlebt: manchmal war es ganz in Ordnung, andere Tage wollte ich am liebsten nicht aus dem Bett.

Ich konnte meinen täglichen Tätigkeiten meistens gut nachgehen, und war in der Lage mein Bachelorstudium erfolgreich abzuschliessen. Es fühlte sich wie ein Marathon an, ich rannte immer weiter und hatte immer weniger Energie. Ich merkte auch wie langsam alles anstrengender wurde. Einfache Aufgaben wie das Einkaufen oder die Wäsche machen wurden zur Herausforderung, ich hatte keinen Antrieb mehr irgendetwas zu machen.

Hier hat sich dann auch stark verändert, was für mich normal ist. Es war normal, ein ganzes Wochenende im Bett zu verbringen, um mich auszuruhen. Ich entwickelte eine Schlafstörung, es fiel mir immer schwieriger eine ganze Nacht durchzuschlafen. Ich habe das bagatellisiert, in dem ich es als «Jungsenile Bettflucht» bezeichnete und darüber lachte. Es wurde normal, immer müde zu sein und keine Energie zu haben. Es war auch normal, mich sozial zurückzuziehen und weniger Zeit mit Freunden zu verbringen. Schon nur einen Abend mit Kollegen zu verbringen war eine Herkulesaufgabe.

In einer sehr schlechten Phase war ich mit Suizidgedanken konfrontiert, diese haben mich dann regelmässig begleitet und waren eine sehr unangenehme Nebenwirkung.

Nach einem Sommer auf dem Motorrad ging es mir wieder gut, ich hatte eine ausgedehnte Tour über mehrere Wochen gemacht. Dann habe ich an der ETH angefangen zu studieren. Durch meine Erwartungen an mich selbst löste dies viel Stress aus. Nebenbei erfüllte sich eine erhoffte Beziehung nicht, und obendrauf verlor ich viel Energie für das Militär, da ich zu der Zeit meine neue Funktion lernte.

Alle diese Faktoren zusammen haben zu einer depressiven Episode geführt. Es ist schwierig zu erklären, wie sich das anfühlt. Ich war in dem Moment von allem überfordert und in einer Art Panik, ich flüchtete während einer Vorlesung nach Hause. In meinem Kopf waren das sehr chaotische Momente und ich wollte mich am liebsten von allem zurückziehen. Zu meinem Glück konnte ich mich an meine Mitbewohnerin wenden und ich beschloss auf ihren Rat hin, Hilfe aufzusuchen.

Das war für mich ein schwieriger Schritt: Ich musste zugeben, dass etwas Grosses nicht in Ordnung war, mit dem ich allein nicht fertig geworden wäre. Dieser Moment ist bis heute für mich sehr wichtig, ich habe gelernt, wirklich nach Hilfe zu fragen.

Erfährst du Symptome einer psychischen Erkrankung wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Essstörungen, Schlafstörungen, …?

Rede mit jemandem darüber und wende dich an eine professionelle Anlaufstelle, die dir helfen kann. Du findest Angebote unter mewellcommunity.ch/help.

Falls du in einer akuten Situation bist oder Suizidgedanken hast und sofort jemanden zum Reden brauchst, kannst du dich an die Dargebotene Hand unter der Telefonnummer 143 wenden.

Wie bin ich herausgekommen

An diesem Punkt fing meine Reise in die Normalität an. Was ist denn jetzt normal? In jenem Moment kam mir nichts mehr normal vor, ich war von allem überfordert und wollte mich am liebsten nur zurückziehen und in die Ferne flüchten.

Ich habe mich als erstes beim Kriseninterventionszentrum gemeldet, um eine psychologische Erstabklärung durchzuführen. Dort wurde mir empfohlen, eine Therapie zu beginnen, worauf ich mich um einen Platz bemühte und zum Glück in ein paar Wochen einen bekam. Ich begann eine kognitive Verhaltenstherapie bei einem Psychiater. Anfangs waren die Fortschritte klein und mühsam, oft verliess ich einen Termin und hatte das Gefühl, es hätte sich nichts geändert. In dieser Phase war es für mich normal, viele Tage nur auf dem Sofa zu verbringen und nichts zu tun. Es fühlte sich an wie in einem Traum zu sein, in dem die Zeit einfach langsam vergeht. Ich habe aber nie das Vertrauen in die Methode aufgegeben und langsam kamen Schritte nach vorne. Es waren erste Momente, in denen ich wieder glücklich war. Mein Schlaf hatte sich auch dank schwach dosierten Antipsychotika merklich verbessert, ich war nicht mehr konstant müde.

Nach ein paar Monaten Therapie hatte sich mein Zustand wieder verschlechtert, und, um die Symptomatik zu lindern, empfahl mir mein Psychiater Antidepressiva. Das war ein grosser Schritt für mich, und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht. In Büchern habe ich über die Funktion des Gehirns gelesen und bin zum Schluss gekommen, dass ich diesen Weg gehen wollte. Dies hat sich als eine sehr gute Entscheidung herausgestellt, nach nur einigen Wochen zum Einstellen war die Dosis getroffen und ich konnte mich komplett auf die Therapie fokussieren. Die kognitive Verhaltenstherapie setzt bei den Denkmustern an, um langfristig eine positive Veränderung zu erreichen. Für das wurde ich von meinem Therapeuten immer wieder mit meinen eigenen Überzeugungen konfrontiert und musste mich selbst hinterfragen. In diesen Momenten war es sehr schwierig zu definieren, was jetzt für mich normal ist. Ich musste immer wieder neue Sichtweisen berücksichtigen und meine Gedanken überdenken. Das ist anstrengend und braucht viel Energie, aber mit der Zeit hat sich der Wandel ins Positive verstärkt und ich konnte die Häufigkeit der Sitzungen reduzieren. Momentan muss ich nur noch alle sechs Wochen in Behandlung, um den Verlauf zu überwachen und die Medikamente zu prüfen. Ich nehme noch Antidepressiva und ein Medikament, um den Schlaf zu fördern, werde diese aber in Kürze anfangen abzusetzen. Rückblickend ist es eine schwierige, aber lehrreiche Erfahrung. Ich referenziere sie meistens, mit einem Lächeln, als meine «dark ages».

Was ist jetzt normal?

Ich habe durch diese Erfahrung ein anderes Verständnis von Normalität. Ich denke, dass «normal» sich über die Zeit verändert und von vielen Faktoren abhängig ist. Ich lebe immer noch mit dem Schatten der Depression, und es ist normal, dass ich ab und zu ausrutsche und ein bisschen im Dunkeln sitze. Es ist aber auch normal, dass ich mich da wieder hinausziehe und wieder in den Alltag finde. Ich habe gelernt, mich selbst mehr zu akzeptieren, mit allen Eigenschaften, die nicht in das Bild des «normalen» jungen Mannes passen. Ich versuche auch andere besser zu verstehen, und meine Vorurteile und Erwartungen zu minimieren.

Zum Weiterlesen