Magazin für Psychologie

Mitmachen
Forschung

Türen öffnen mit psychedelischer Therapie

Was hat es mit der «psychedelischen Renaissance» auf sich?
Bilder: Katrin Grings

Worum handelt es sich bei Psychedelika, was sind die Hintergründe psychedelischer Forschung und was gibt es für neue Erkenntnisse zum Thema Therapie mit Psychedelika? Was passiert, wenn man diese Türen öffnet? Welche Möglichkeiten und Risiken bergen bewusstseinserweiternde Drogen?

M enschen verwenden Psychedelika schon seit Tausenden von Jahren (Grof, 2019; Nichols & Barker, 2016). Psilocybin-haltige Pilze sind zum Beispiel auf allen Kontinenten der Erde zu finden. Ihre Verwendung wurde von präkolumbianischen mesoamerikanischen Gesellschaften wie den Azteken und Mayas ausführlich dokumentiert (Grof & Grof, 2010; Nichols & Barker, 2016).

Ein weiteres Psychedelikum ist NN-DMT, eine Substanz, die in vielen Pflanzenarten vorkommt (Drug Enforcement Administration, 2019) und einer der wichtigsten Bestandteile des beliebten psychedelischen Gebräus namens Ayahuasca ist. Dieses wird in den Regionen des Amazonas seit mindestens 1000 Jahren verwendet (Miller et al., 2019). Bei vielen Ureinwohnern wurden diese Psychedelika häufig zu Heilzwecken und zu religiösen oder spirituellen Zwecken verwendet (Grof, 2019; Nichols & Barker, 2016) und spielten in einigen kulturellen Ritualen eine wichtige Rolle (Grof, 2019).

Betrachtet man den Zeitraum von den ersten Belegen für die Verwendung von Psychedelika durch Menschen bis zur Gegenwart, so wurden die psychedelischen Praktiken grösstenteils im Kontext der einheimischen Kulturen ausgeübt und von Personen wie Mystikern, Priestern, Ältesten, Schamanen, Heilern und Medizinmännern entwickelt. Westliche Gesellschaften fingen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, Psychedelika zu verwenden und eigene Praktiken zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass die Psychedelika Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wurden (Grof, 2019).

Ein neueres Beispiel ist LSD. Albert Hofmann, ein Schweizer Chemiker, synthetisierte LSD 1938 bei Sandoz Chemicals. Er glaubte, dass LSD die Psychiatrie revolutionieren und eine Generation von Künstlern und Intellektuellen inspirieren könnte (Grof, 2019). Sandoz Chemicals, sowie andere Forschungsstellen, gaben die Droge damals zu Forschungszwecken kostenlos an amerikanische Psychiater ab.

Zwischen 1953 und 1960 wurden tausende Personen mit einer Alkoholabhängigkeit unter kontrollierten Bedingungen einer Behandlung mit LSD unterzogen. Die Ergebnisse zeigten, dass fast die Hälfte der behandelten Personen noch mehr als ein Jahr später alkoholabstinent war. Obwohl diese Forschung in einigen Kreisen Zustimmung fand, wurde sie in anderen Kreisen angegriffen. Ähnliche Studien konnten die Ergebnisse nicht reproduzieren und deshalb äusserte auch die konservative Ärzteschaft Kritik (MAPS, 2012). Jahrzehnte später stehen wir immer noch an einer ähnlichen Stelle. Wie Menschen auf die Substanz und das mögliche Potenzial reagieren, hängt womöglich von weit mehr ab als der Substanz selbst (MAPS, 2012).

Als die Forschenden das Verständnis für die klassischen Psychedelika und auch Cannabis weiterentwickelten, wurden diese Substanzen auch in der Öffentlichkeit bekannter und ihr Konsum wurde schliesslich in der Kulturbewegung der Hippies in den 1960er und 1970er Jahren weit verbreitet (Encyclopaedia Britannica, 2022).

1971 wurde dann das Verbot der klassischen Psychedelika, wie auch der meisten anderen heute illegalen Drogen, durch das UN-Übereinkommen über psychotrope Stoffe weltweit verabschiedet (UNODC, 1971).

«Psychedelic experience—like all other intense life events—may offer the potential for growth and change. How people respond, however, depends on far more than a drug.»

MAPS, 2012

Innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts wandelte sich die Einstellung der Menschen gegenüber Psychedelika von Neugier und Faszination hin zu einer Stigmatisierung und Kriminalisierung dieser Substanzen. Die zahlreichen Folgen dieses Bruchs sind noch heute spürbar, denn das Verbot schränkt zum Beispiel stark ein, was und wie heutzutage mit Psychedelika geforscht werden darf. Trotzdem stieg das Interesse an diesen «unspezifischen Verstärkern» in den letzten Jahrzehnten wieder an (Cormier, 2022).

Seitdem wurde dieses erneut erwachte Interesse an der psychedelischen Forschung am Menschen von Organisationen wie der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS), der Johns Hopkins University und vielen anderen Verbänden, auch ausserhalb der USA, gefördert (Cormier, 2022; Grof, 2019).

Darüber hinaus wurde das medizinische Potenzial von Psychedelika 2017 und 2018 anerkannt, als die US-amerikanische Food and Drugs Administration (FDA) psychotherapeutische Verfahren mit MDMA (MAPS, 2017) und Psilocybin (COMPASS Pathways, 2018) als «bahnbrechende Therapien» einstufte.

Ausserdem wurde vor allem in Nordamerika eine Welle von Gesetzesreformen auf den Weg gebracht, die den legalen Zugang zu Psychedelika entkriminalisieren und/oder ermöglichen (Lewis-Healey, 2021). Im Rahmen dieser neuen Gesetze wurden die Fälle, in denen bestimmte Psychedelika für religiöse oder spirituelle Zwecke in den USA verwendet werden durften – insbesondere meskalinhaltiger Peyote für die indianische Kirche und Ayahuasca für die brasilianische indigene Kirche União do Vegetal – eingeführt (Nichols & Barker, 2016).

Mit dem derzeitigen Paradigmenwechsel, den laufenden klinischen Studien und der Entwicklung einer ganzen Industrie rund um Psychedelika gewinnt der Begriff psychedelische Renaissance weiter an Popularität. Dennoch sind Psychedelika in den meisten Teilen der Welt auch 2022 noch illegal und die Mehrheit der Konsumenten bezieht sie vom Schwarzmarkt (Cormier, 2022).

Letztes Jahr konnte eine Studie des Imperial College London zeigen, dass Psilocybin bei der Bekämpfung von Depressionen genauso wirksam ist wie Escitalopram (auch Lexapro genannt), welcher ein gängiger Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ist (Carhart-Harris, 2021). Zu beachten ist, dass sich die Symptomatik in beiden Patientengruppen verbesserte. Diese Verbesserung zeigte sich unabhängig davon, ob Psilocybin oder Escitalopram verabreicht wurde. Beide Patientengruppen erhielten außerdem fast 40 Stunden Psychotherapie. Hier könnte kritisiert werden, dass dies weit mehr Stunden sind, als ein*e durchschnittliche*r Patient*in erhält, die in Behandlung mit SSRIs ist (Cormier, 2022).

In Onlineforen wie actualized.org teilen Menschen anonym ihre Erfahrungen mit Psychedelika:

«I had previously reported no insights on my initial acid trip and a month later took the same dose. For some reason I’ve had these amazing mind-blowing awakenings on ganja. I took a week off from smoking and smoked again and had another God Realization awakening that really rocked me hard. However, despite not having any immediate insights after dropping LSD, the long-term effect has been a total cessation of drinking alcohol. I no longer pick up a single beer for after work and I’ve been avoiding going out for drinks… not out of some weird kind of willpower but because it no longer appeals to me. A week or two ago I walked into a liquor store to buy lager beer and some tequila. I bought nothing because it just didn’t appeal to me. I’ve been struggling with alcohol addiction for years and I’m SO fucking ELATED that I don't desire it anymore. I’m still shocked and blown away by this in a great way. All that struggle and after two LSD sessions it’s gone. Wow!» (Ramu, 2022)

Nicht nur in akademischen Kreisen sind Psychedelika ein Thema. Bereits mehr als 50 börsennotierte Unternehmen, die an der Entwicklung oder Verabreichung psychedelischer Substanzen arbeiten, sind heute in Amerika tätig – drei von ihnen werden bereits mit jeweils über 1 Milliarde Dollar bewertet: Angermayers ATAI Life Sciences, Compass Pathways und GH Research (Cormier, 2022).

Es entsteht die Sorge, dass es den meisten dieser Unternehmen nur um den wirtschaftlichen Gewinn geht und nicht um die Behandlung von Patient*innen. Es könnte zu einem Streit um Patente, Lizenzen und Rechten kommen. Zusätzlich zu den noch nicht ausreichend erforschten Risiken der Substanzen selbst, kommen so noch Risiken der wirtschaftlichen und ethischen Umsetzung. Es scheint, als öffneten Psychedelika nicht nur im Bewusstsein, sondern auch für den Markt neue Türen.

Es muss als zentral verstanden werden, Psychedelika nicht selbst als Heilmittel zu betrachten. Eine andere Art von Medikation, egal bei welchem Störungsbild, sollte nicht als Möglichkeit gesehen werden, Therapiezeiten zu verkürzen (Cormier, 2022). Risiken müssen ausreichend erforscht und kommuniziert werden und die Integration psychedelischer Erfahrungen selbstverständlich sein. Trotzdem dürfen die neuen Erkenntnisse und die Suche nach Alternativen zu herkömmlichen Medikamenten nicht abgetan werden und «die legale psychedelische Therapie wird kommen» (Cormier, 2022).

Zum Weiterlesen

Referenzen