Werden wir mit unserer eigenen Sterblichkeit konfrontiert, reagieren wir unbewusst in Weisen, die uns dabei helfen, mit dieser Konfrontation zu leben. Die Terror-Management-Theorie erklärt, wie wir uns im Angesicht unserer eigenen Sterblichkeit verhalten.
E pikur schrieb, dass alles was schlecht und alles was gut ist, Sache der Wahrnehmung sei und das Ende der Wahrnehmung der Tod. Der Tod habe also keine Bedeutung, sei weder gut noch schlecht, denn solange wir da seien, sei der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, so seien wir nicht mehr da. Nun liessen wir uns vielleicht von Epikur überzeugen, den Tod nicht zu fürchten, wenn wir rein rational denkende Wesen wären. Den Konjunktiv verlassend, stellen wir fest, dass die Bewusstwerdung der eigenen Sterblichkeit durchaus Angst oder zumindest unangenehme Gefühle hervorrufen kann.
Bond (1994) beschreibt die Angst vor dem Tod oder englisch Death Anxiety als ein Gefühl des Grauens, der Befürchtung oder Besorgnis, wenn man an den Prozess des Sterbens oder an das Aufhören des «Seins» denkt. Dabei unterscheidet Wong (1994) zwischen der Furcht vor dem Sterben und der Angst vor dem Tod. Die Furcht vor dem Sterben ist dabei konkret und dem Bewusstsein zugänglich. Die Angst vor dem Tod hingegen äussert sich allgemeiner und ist eher nicht bewusstseinszugänglich.
Die Angst vor dem Tod und ihre Korrelate
Breit ausgelegte Angst vor dem Tod kann per Selbstmessung erhoben werden. Die Death Anxiety Scale (Templer, 1970) besteht aus 15 Items, die man mit Ja oder Nein beantwortet. Die Items lauten beispielsweise: Das Thema Leben nach dem Tod beunruhigt mich sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich die Zukunft nicht zu fürchten brauche (rückwärts codiert). Und: Ich habe grosse Angst vor dem Tod.
In vielen Religionen der Welt ist das Leben nach dem Tod ein zentrales Thema. Ob die Folge des Versterbens nun Himmel, Hölle oder Wiedergeburt ist, was alle gemeinsam haben, ist dass der Tod zwar ein Ende aber auch einen Anfang darstellt. Es liegt daher nahe, dass Personen, die überzeugte Anhänger einer Religion sind, weniger Angst vor dem Tod haben. In einem Review von Jong (2021) wurden 202 Korrelationen zwischen Angst vor dem Tod und Religiosität ausgewertet. Rund die Hälfte fanden keinen signifikanten Zusammenhang, 60 einen negativen Zusammenhang und 36 einen positiven Zusammenhang. Alles in allem wurde ein schwacher negativer Zusammenhang von r = –.06 festgestellt. Einige Studien lassen vermuten, dass ein kurvilinearer Zusammenhang zwischen Religiosität und Angst vor dem Tod besteht. Das heisst, dass Menschen, die sehr religiös sind, sowie Menschen, die leicht religiös sind, weniger Angst vor dem Tod haben als Menschen, die in der Mitte dieses Spektrums befinden.
Unter psychisch nicht beeinträchtigten Menschen fanden Lonetto und Templer (1986) einen Durchschnittswert von 6.89 von maximalen 15 Punkten. Frauen haben dabei im Durchschnitt signifikant höhere Werte als Männer. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze, wovon aber bis anhin keiner als Standarderklärung angewendet wird. Wird Angst vor dem Tod mit anderen Skalen erhoben, findet man keine Korrelation zwischen Geschlecht und Angst vor dem Tod (Depaola et al, 2003). Das heisst, dass die breite Auslegung von Angst vor dem Tod, die bei der Death Anxiety Scale gemessen wird, zu unspezifisch ist und Subskalen Unterschiede erklären könnten. Eine weitere Erklärung liefert Wong (2012), der an einer chinesischen High School Geschlechterunterschiede bei der Angst vor dem Tod fand. Laut ihm könnten die Unterschiede im in China gesellschaftlich populären Glauben an Spirituelles liegen, der unter der weiblichen Bevölkerung stärker verbreitet sei. Aberglaube korreliert dabei mit der Angst vor dem Tod. Woher die Geschlechtsunterschiede im Aberglaube stammen, beschriebt Wong (2012) jedoch nicht. In der arabischen Welt fanden sich bis anhin die grössten Geschlechterunterschiede (z.B. Abdel-Khalek, 1991). Templer (1991) kommentierte dazu, dass es in Gesellschaften, in denen sich männliche und weibliche Geschlechterrollen stark voneinander unterscheiden, typisch männlich angesehene Attribute, wie Mut und Unerschrockenheit die Scores auf der Death Anxiety Scale beeinflussen könnten.
Bezüglich Lebensalter könnte man erwarten, dass die Angst vor dem Tod mit zunehmendem Alter grösser wird, da das Lebensende unweigerlich näher rückt. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Junge Menschen erreichen durchschnittlich höhere Werte im Vergleich zu Älteren. Die tiefsten Werte erreichen Menschen über 60. Hier ist anzumerken, dass der Sterbeprozess für ältere Menschen wichtiger ist. Sie fürchten sich eher vor einem Sterben, das mit Qualen und Schmerzen verbunden ist, sie daran hindert den Alltag zu bestreiten oder das zu einem Kontrollverlust über den Körper führt (Depaola et al., 2003).
Woher kommt die Angst vor dem Tod?
Die Terror-Management-Theorie (Greenberg et al., 1986) geht davon aus, dass der Mensch sich von anderen Tieren darin unterscheidet, dass er zu abstraktem und logischem Denken fähig ist. Der Mensch profitiert von seiner Intelligenz, da sie ihn sehr anpassungsfähig macht. Allerdings kommt mit solch einer hohen Intelligenz auch die Erkenntnis, dass man eines Tages sterben wird und dass der Tod zu jedem Zeitpunkt aus unzähligen unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Gründen eintreten kann (Pyszczynski et al., 2015). Die Terror-Management-Theorie nimmt an, dass dieses Bewusstsein eines möglichen Todes, welches eigentlich dem Verhindern eines frühzeitigen Todes dient, das Potenzial für eine Urangst trägt. Diese Urangst wird in der Theorie als Terror bezeichnet. In diesem Kontext ist unter Urangst eine angeborene und nicht im Laufe der Jahre erlernte Angst zu verstehen. Würde sich der Mensch gegenüber dieser Gefahr gleich verhalten, wie gegenüber anderen Bedrohungen, so wäre er nicht in der Lage zu leben. Der Mensch nutzt die gleichen Fähigkeiten wie zur Erkenntnis des potenziellen Todes, um den Terror zu managen. Die Terror-Management-Theorie erklärt nicht nur, wo die Angst vor dem Tod herkommt, sondern auch menschliches Verhalten im Auge von Bedrohung ihrer Kultur, ihres Selbstwertgefühls oder ihrer Weltsicht (Pyszczynski et al., 2015). Des Weiteren gibt sie einen Ansatz, warum Menschen sich am liebsten in Kreisen aufhalten, in denen ihre Peers ihnen ähnlich sind.
«TMT [Terror Management Theory – Anm. d. Verf.] posits that awareness of death in an animal designed by natural selection to avoid premature termination creates the potential for intense primal fear, which we refer to as terror to underscore its potency and connection to death.»
Terror-Management
Menschen erfinden, absorbieren und binden sich an kulturelle Weltvorstellungen. Darunter fallen Theorien über die Realität, die dem Leben Bedeutung, Sinn und Wichtigkeit sowie ein Wertesystem verleihen. Des Weiteren schenken sich Menschen mit gleichen Weltvorstellungen gegenseitig Hoffnung auf unendliches Leben, sei das durch Vorstellungen vom Leben nach dem Tod oder durch das Versprechen, dass die Hinterlassenschaften einer Person in der Welt weiter bestehen bleiben. Diese Hoffnung brauchen Menschen, um ein Selbstwertgefühl verspüren zu können. In einem System, in dem man nie validiert wird und niemand das eigene Wertesystem teilt, ist es schwierig, Angst effizient zu puffern (Pyszczynski et al., 2015).
Für die Terror-Management-Theorie spricht, dass Menschen mit hohem Selbstwertgefühl allgemein weniger Angst verspüren. Spezifischer sollte also induziertes hohes Selbstwertgefühl auch zu weniger Angst vor auf den Tod bezogenen Gedanken führen (Pyszczynski et al., 2015). In einer Studie von Greenberg und Kollegen (1992) berichteten Probanden, die zuvor ein positives Feedback zu einem Persönlichkeitstest erhalten hatten, weniger Angst beim Anschauen eines todbezogenen Videos als Probanden, welche ein neutrales Feedback erhielten.
Stimmt die Terror-Management-Theorie, so müsste eine Konfrontation mit todbezogenen Inhalten zu einem erhöhten Verlangen nach Schutz der eigenen Weltsicht und des Selbstwertgefühls führen. Demnach müsste nach einer Salientmachung der eigenen Sterblichkeit alles was den eigenen Ansichten entspricht zu stärkeren positiven Reaktionen führen bzw. alles was den eigenen Ansichten widerspricht zu einer negativeren Reaktion führen. Eine Metaanalyse von Burke und Kollegen (2010) zeigte dabei, dass dieser Effekt mit r2 = 0.35 zu einem der stärksten Effekte in der Sozialpsychologie gehört. Zur Veranschaulichung führt eine Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit zu grösserer Zustimmung für gewaltsame Lösungen in moralischen, religiösen und internationalen Konflikten (Pyszczynski et al., 2006).
Die Terror Management Theorie kann auf deutlich mehr Phänomene angewendet werden, wie beispielsweise die Fragen wo Religion herkommt, warum Kriege geführt werden, weshalb Populismus funktioniert, wo Kulturunterschiede herkommen und zu guter Letzt, warum Epikur und sein rationales Denken doch seine Fehler hat.