Magazin für Psychologie

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Bericht

Wort- und Menschenbilder

Ein Blick auf das gesprochene Wort
Bilder: Janice Lienhard

Die Idiolektik ist mehr als eine Methode der Gesprächsführung – diese Methode entspricht einem Menschenbild, das auf Individualität eingeht und Sprache als Zugang zu innerer Weisheit betrachtet. Mit einfachen, gezielten Fragen werden in der Therapie, wie im Alltag öffnende Gespräche ermöglicht.

Paralogik

Paralogik beschreibt die individuelle innere und assoziative Logik eines Menschen, die parallel zur allgemein verstandenen linearen Logik und der lexikalischen Bedeutung existiert. Ziel ist es, diese innere Logik zu aktivieren, indem die gesprächsführende Person anhand der Fragen arbeitet, die unbewusste Inhalte offenlegen. Dadurch kann es der erzählenden Person gelingen auf Ressourcen zu stossen oder Problemlösungen zu erkennen (Bindernagel, 2023).

D ie Idiolektik ist eine innovative und respektvolle Methode der Gesprächsführung, die der Eigensprache des Gegenübers besondere Aufmerksamkeit schenkt (www.idiolektik.de). Sie kann als therapeutisches Werkzeug in die Gesprächstherapie integriert werden und ist auch eine Grundhaltung Menschen (im Gespräch) zu begegnen. Somit ist die Idiolektik in fast allen Situationen anwendbar, in denen Kommunikation stattfindet. Zu diesem idiolektischen Menschenbild gehört die Annahme einer inneren Weisheit, die im Gespräch zum Ausdruck kommen kann und somit für die erzählende Person, durch sensibles Nachfragen, erfahrbar gemacht werden kann. Hierbei spielt die sogenannte Paralogik eine zentrale Rolle, aber auch das sprachliche Aufnehmen innerer, metaphorischer Bilder. Durch das individuelle Ausdrücken, momentaner Gemütszustände gelingt es, komplexe emotionale Themen auf einer Metaebene zu bearbeiten. Idiolektische Gespräche können im weitesten Sinne auch ohne eine gemeinsame Sprache stattfinden, was die Bedeutung individueller, paraverbaler Signale unterstreicht. Die nonverbale Kommunikation wird zum zentralen Element, wenn Worte allein nicht ausreichen (Bindernagel, 2023).

Die Idiolektik wurde seit 1980 von Dr. A. D. Jonas, einem amerikanischen Konsiliararzt für Psychiatrie und Psychotherapeuten, entwickelt und gelehrt (Jonas, 1981). Seitdem wird sie erfolgreich in unterschiedlichen therapeutischen Kontexten – wie der Jugendpsychiatrie oder Psychoonkologie – aber auch in nicht-therapeutischen Berufsfeldern eingesetzt (www.idiolektik.de). Besonders in der Arbeit mit Kindern erweist sich die Methode als wirkungsvoll, da deren Sprache oft von blumigen und bildhaften Ausdrücken geprägt ist. Das Störungsmodell der Idiolektik entspricht der Homöostase und kann einem humanistischen Ansatz zugeordnet werden (Winkler et al., 2018). Zu den Grundpfeilern der Idiolektik gehören: Zieloffenheit, Schlüsselworte, Bilder, Würdigung, sich (als Therapeut*in) korrigieren zu lassen und Resonanz. Resonanz meint hier, dass die zuhörende Person zum Resonanzkörper für die Mitteilungen der erzählenden Person wird. Die Mitteilungen können über Wörter, (Stimm-) Klang und Körper (Gestik, Körperhaltung, Mimik oder Blick) erfolgen (Bindernagel, 2023). Resonanz kann sich auch darin zeigen, dass Erzählende und Zuhörende dieselbe Körperhaltung einnehmen – sich spiegeln. Auch der Begriff des Würdigens ist von zentraler Bedeutung und soll zum Ausdruck bringen, dass das Gegenüber so angenommen und anerkannt wird, wie es ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass jedes Individuum gute Gründe für sein Denken, Fühlen und Handeln hat (Bindernagel, 2023). Zur Zieloffenheit gehört auch eine Veränderungsneutralität. Weder die gesprächsführende Person noch die erzählende Person wissen, wohin das Gespräch führen wird. Es geht darum «mal zu schauen», wo dieser experimentelle Umgang mit Sprache und inneren Bildern hinführt. Diese Haltung erinnert an ein entspanntes Gespräch auf einer Parkbank und steht im Gegensatz zu einer gesuchten Ressourcenaktivierung. Das idiolektische Zuhören verlangt somit aber auch echte Offenheit und kein Aufdrängen von Hypothesen oder Einfordern von Erklärungen. Dadurch, dass die Eigensprache des Gegenübers verwendet und erkundet wird und auch Diagnose und Symptome in der Eigensprache des Gegenübers formuliert werden – also nicht von Fachsprache in die Eigensprache eines*r Patient*in übersetzt werden müssen – kann die therapeutische Beziehung gefördert werden. Denn auffallend häufig wird medizinische Fachsprache von Patient*innen übernommen und weiterverwendet, auch wenn sie vielleicht nicht die Symptome beschreibt, die die Betroffenen meinen. Das kann einem Krankheitsverständnis und somit auch einer Besserung im Weg stehen (Winkler, 2023).

Ein Mensch – Eine Sprache

Unter Idiolekt versteht man die individuelle Sprachweise eines Menschen, also die spezifischen phonetischen, grammatikalischen und stilistischen Eigenheiten der Wortwahl. Aber auch Sprachklang oder Körpersprache und beschreibt somit die ganz individuelle Art jedes Menschen, sich mitzuteilen (Winkler et al., 2018).

Idiolektisch fragen: Wie geht das?

Die Fragen in einem idiolektischen Gespräch sind offen, kurz, konkret, einfach, und vermeintlich unverfänglich. «Warum»-Fragen sind nicht Teil dieser Gesprächstechnik da sie zu Rechtfertigungen (ver)leiten. Konkret bezieht sich hier auf das Gegenteil von abstrakt – es stehen also Fragen nach Körperempfindungen und Bildern im Vordergrund. Aber auch nach Handlungen oder Tätigkeit, da die Psychosomatik eine wichtige Rolle in der Idiolektik spielt. Beispiele für idiolektische Fragen sind: «Wenn Sie das umsetzen, wie sind die Umstände?», «Wie geht das (Entspannt eine Tasse Tee trinken)?», «Fällt dir ein Bild dazu ein? (Sich einem Konflikt stellen)». Die erarbeiteten Bilder dienen dazu, Distanz zu Problemen zu schaffen und wählbare Alternativen zu erkennen. Die idiolektische Haltung zielt darauf ab, Gespräche so zu gestalten, dass die erzählende Person die Kontrolle über den Verlauf behält. Als zuhörende Person bleibt man die ganze Zeit bei der erzählenden Person und fragt dort nach, wo sie weitererzählen möchte oder wo Resonanz ist, ohne den eigenen Interessen und Hypothesen nachzugehen. Indem auf Schlüsselwörter und Sprachbilder geachtet wird, können durch die drei «T’s » (Ton, Tempo, Thema) trotzdem sanfte Impulse gegeben werden. Auch die Körpersprache liefert wertvolle Hinweise in welche Richtung ein Gespräch weitergehen soll. Diese Form des Zuhörens bietet der erzählenden Person Raum, eigene Gedanken und Gefühle zu erforschen, und stärkt gleichzeitig die Selbstwirksamkeit. Idiolektische Gespräche werden ruhen gelassen – nicht nachbesprochen –, was der erzählenden Person ein Gefühl von Sicherheit und Privatsphäre geben kann und die Selbstwirksamkeit stärkt. So wird beispielsweise den Klient*innen überlassen, ob an der vorherigen Sitzung inhaltlich angeknüpft werden soll oder nicht (Winkler et al., 2018).

«Psychotherapeuten werden dafür bezahlt, dass sie ihre Neugierde zurückhalten.»

Jonas, A.n.d.

Häufig falsch verstanden, werden in der Idiolektik negativ behaftete Themen nicht vermieden. Idiolektische Fragen orientieren sich zwar an vermeintlich unverfänglichen Aussagen. Persönliche Themen, Probleme und Schwierigkeiten sind trotzdem immer präsent. Diese Art des indirekten Nachfragens kann dennoch helfen in einen (pro-)aktiven Zustand zu gelangen. Denn bereits das verbale oder imaginierte Lösen der inneren Bilder, kann zum Selbstvertrauen führen, sich realen Problemen zu stellen oder Veränderungsoptionen aufzuzeigen (Bindernagel, 2023).

Die Idiolektik bietet einen innovativen Ansatz, Sprache als Werkzeug für Verständnis, Verbindung und Selbstreflexion zu nutzen. Ob in der Therapie oder im Alltag, sie eröffnet neue Möglichkeiten Gespräche zu führen, die respektvoll und bereichernd sind. Ihre Stärke liegt in der individuellen Anpassung an das Gegenüber und in der Fähigkeit, kreative Lösungen hervorzubringen. Gleichzeitig ist es wichtig, die Grenzen dieser Methode zu kennen, um Fehlanwendungen zu vermeiden. Insbesondere bei unerfahrenen Therapierenden und gewissen Krankheitsbildern (z. B. Bipolar-manisch Phasen oder Wahnstörungen) ist Vorsicht geboten (Bindernagel, 2023). Idiolektik kann also in verschiedensten Lebensbereichen sehr inspirierend sein. Daher ist es absolut empfehlenswert «mal» in ein idiolektisches Gespräch zu «schauen».

Zum Weiterlesen

  • Bindernagel, D. (2023). Ich hör dir zu. Gute Gespräche im Alltag. Carl Auer.
  • Oelman, N. & Rentel, T. (2023). Einfach fragen in Licht und Schatten. Das Potenzial der Eigensprache in der Traumatherapie. Carl Auer.

Referenzen

  • Bindernagel, D. (2023). Seminar 1: Sprachbilder und Paralogik.
  • Bindernagel, D. (2023). Wer gut fragt gewinnt. Kikt-thema.
  • Idiolektik (2025). https://idiolektik.de/. Zuletzt abgerufen am: 1.2.25, 15:26
  • Jonas, A. D. (1981). Kurzpsychotherapie in der Allgemeinmedizin: Das gezielte Interview (3rd ed.). Huttenscher Verlag.
  • Poimann, H. & Winkler, P. (2024) A.D. Jonas 1984/1985 kommentiert Teil 3 – Gespräche über «Verstopfung». https://www.youtube.com/watch?v=f8Ak7_azK7I&list=WL&index=80&t=4s. Würzburg.
  • Winkler, P. (2023). Einführung in die Idiolektik. Die individuelle Sprache in Beratung und Therapie nutzen. Springer.
  • Winkler, P., Bindernagel, D., Krüger, E., & Rentel, T. (Ed.). (2018). Schlüsselworte: Idiolektische Gesprächsführung in Therapie, Beratung und Coaching (3rd ed.). Carl-Auer.