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Endlich alt sein

Warum wir uns auf unser Alter freuen dürfen
Bilder: Ronja Denzler

Lieber länger jung bleiben. Von Verjüngungscrémes, über Vitaminshots bis hin zu professionellem Bodyshaping. Unsere heutige Gesellschaft scheint darauf getrimmt zu sein, das Älterwerden zu vermeiden und möglichst weit weg zu schieben. Zugleich altert jede*r von uns. In dem Moment, in dem du diese Zeilen liest, wirst du älter. Wie also mit dem Altern umgehen? Wie optimistisch bleiben?

Ä lter werden ist nichts für schwache Nerven. Der Rücken tut weh, einfache Tätigkeiten, die einmal leichtgefallen sind, kosten viel Kraft und Zeit, Freund*innen und Wegbegleiter*innen sterben. Das Leben scheint nur schlechter und komplizierter zu werden, wenn wir altern.

Psycholog*innen erforschen im Arbeitsfeld der Gerontopsychologie Alterungsprozesse des Menschen und deren Konsequenzen. Was passiert mit unserem Gehirn, wenn wir altern? Wie verändern sich unsere Kognitionen? In den letzten Jahren hat vor allem die Forschung zur effektiven Ressourcennutzung und -stärkung im Alter zugenommen. Apps zum kognitiven Training im Alter versprechen, dass wir länger fit und kognitiv flexibel bleiben, wenn wir nur dranbleiben und die richtigen Übungen absolvieren. Ratgeber empfehlen eine ausgewogene Ernährung, viel frische Luft und Bewegung und soziale Kontakte. Was steckt also dahinter? Inwieweit können Menschen sich auf diese Phase des eigenen Lebens freuen?

Plastizität des Gehirns im Alter

Auch im hohen Alter ist das menschliche Gehirn noch in der Lage, mit Wachstum und Veränderung auf das Erlernen einer neuen Aufgabe zu reagieren. Die anatomische Struktur des erwachsenen Gehirns kann sich selbst im Alter noch signifikant verändern. Auch und gerade für ältere Menschen ist es daher wichtig, neue Herausforderungen zu meistern und Neues zu lernen.

Was schlechter wird

Bevor wir eine optimistischere Perspektive einnehmen, lohnt es sich einen Blick darauf zu werfen, was auf den ersten Blick offensichtlich erscheint: Altern geht mit Einbussen einher.

Besonders für Frauen wächst das Risiko einer Demenz mit zunehmendem Alter rasant (Beam et al., 2018). Kognitive Defizite und Probleme bei der Koordination von Aufgaben stellen weitere Veränderungen dar (Craik & Byrd, 1982). Im Alter wird es schwieriger, flexibel auf Aufgaben und neue Herausforderungen zu reagieren, da die Synapsen in unserem Gehirn nicht mehr so flexibel zusammenarbeiten, wie dies in jüngeren Gehirnen der Fall ist (Holland et al., 2002). Die Angst zu fallen, Einsamkeit, der Verlust von Freund*innen und Bekannten oder sogar von Familienangehörigen sind Wegbegleiter des Älterwerdens. Der Eintritt in den Ruhestand stellt eine fundamentale Veränderung im Leben eines Menschen dar, der von manchen Autor*innen sogar als «sozialer Tod» betitelt wird (Brannelly, 2011). In Rente zu gehen, bedeutet Aufgaben zu verlieren, die seit Jahren Teil des eigenen Alltags waren, neue Wege zu beschreiten und Dinge hinter sich zu lassen. Der tägliche Rhythmus, der jahrzehntelang an die eigene Arbeit gekoppelt war, muss neu gestaltet, andere Aufgaben implementiert werden. Der Stress, dem ältere Menschen im Laufe des Alterns begegnen, ist aber nicht unbedingt gesellschaftlich offensichtlich – wenn ältere Menschen in den öffentlichen Fokus rücken, dann besonders zu Themen wie der Höhe der Pflegekosten oder dem Renteneinstiegsalter. So ist die Anzahl der älteren Menschen in der Schweiz mit psychischen Störungen wie Depressionen oder Angststörungen, mit einer Alkoholabhängigkeit oder anderweitigen Substanzstörung zum Teil eine Dunkelziffer, da Leiden im Alter Gefahr laufen, bagatellisiert zu werden (Schweda et al., 2023).

«I always close my sets with the same lines – that I’ve been on the planet a hundred thousand years and have learned just two things. One: never know your place – it’s my mantra. Wherever you are belongs to you, it’s where you should be. And the other thing? If someone asks you to act your age, politely tell them to f* off.»

Zitat von Natalie Levant, 89, Comedian. Aus einem Interview des Guardian mit sogenannten «elderly high-achievers», der Link findet sich auch unter «Zum Weiterlesen».

Was besser wird

Das klingt gar nicht schön. Jedoch gibt es auch gute Nachrichten: Alterungsprozesse sind von uns beeinflussbar, zumindest bis zu einem gewissen Grad (Svetkey et al., 2005. Das Prinzip von Nature-Nurture trifft nicht nur auf junge Menschen zu (Giuliani et al., 2018). Wie Menschen genetisch ausgestattet sind oder welche Krankheiten sie geerbt haben, bleibt (oder wird erst) im Alter relevant – man denke an Diabetes oder Demenzen (Williams & Kemper, 2010). Wie wir uns ernähren (Kuo et al., 2006), wie wir unseren Schlaf regulieren (Chaput et al., 2018), wie viel Alkohol wir trinken (Guggenmos et al., 2017), ob wir rauchen (Struijs et al., 2005), Sport treiben (Jenkin et al., 2017), unser soziales Netzwerk pflegen (Cornwell et al., 2008), uns kognitiv betätigen, z.B. Musik spielen (Hays et al., 2002), etc. bleibt jedoch zum grössten Teil uns überlassen. So scheinen wir im Alter weniger tief und lange zu schlafen oder potenziell mehr Hilfsmittel zu benötigen; zugleich geht Altern aber mit weniger negativen Affekten, weniger Gefühlsschwankungen und potenziell stabileren Beziehungen einher (Carstensen et al., 2003). Ältere Personen kennen sich besser, haben mehr Lebenserfahrung und können sich im Kontext eines grösseren Bildes sehen (Chasteen et al., 2012). Religiosität kann eine bedeutendere Rolle für die Lebensqualität haben (Saffari et al., 2019). Ausserdem nehmen nicht alle kognitiven Funktionen ab: Dank der Plastizität des Gehirns können aufgrund des Alters fehlende oder abgestumpfte Netzwerke durch Verlagerung der Aufgaben auf andere Gehirnbereiche ausgeglichen werden (Cabeza et al., 2002).

Wie bereits erwähnt, nimmt der Forschungsbereich betreffend kognitiver Trainingsmöglichkeiten im Alter zu (Rebok et al., 2014; Giuli et al., 2016; Zokaei et al., 2017). Vermehrt werden Virtual Reality (Bauer & Andringa, 2020; Wojciechowski, 2021) oder (Online) Spiele (Van Muijden et al., 2012) auf ihre Effektivität in Bezug auf Alterungsprozesse untersucht. Sport zu treiben scheint nicht nur im jungen Alter relevant für die kognitive Leistung zu sein (Gheysen et al., 2018). Die vermehrte Sauerstoffzufuhr hat einen wesentlichen Einfluss auf die Kognitionen im Alter.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass es sich lohnt, die positiven Aspekte des Alterns im Blick zu behalten. Der Fokus auf das Jungsein bleibt zwar spannend, jedoch sollten dem Alter und seinen Prozessen, sowie den positiven Seiten des Alterns dadurch nicht weniger Beachtung geschenkt werden.

Zum Weiterlesen

Referenzen

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