«Forever young» – von diesem Wunsch ist nicht nur in mehreren Liedern die Rede, sondern er widerspiegelt sich auch in den zahlreichen Anti-Aging Produkten und Schönheitseingriffen, die auf dem Markt angeboten werden. Doch besteht diese Angst vor dem Älterwerden auch in anderen Kulturen?
A ngst vor dem Älterwerden oder Altersangst sind deutsche Übersetzungen des englischen Fachbegriffs aging anxiety und bezeichnen negative Emotionen und Ängste, die sich auf den eigenen Alterungsprozess beziehen. Dies kann verschiedene Aspekte des Älterwerdens betreffen. Dazu gehören physische oder psychische Veränderungen, befürchtete persönliche Verluste oder auch die Angst vor alten Menschen (Lasher & Faulkender, 1993). Bei einer stark ausgeprägten Angst kann es sich dabei auch um eine psychische Erkrankung handeln, die Gerantophobie. Dies beschreibt keine eigene Diagnose, sondern gehört laut den Diagnosekriterien des DSM-5 und ICD-11 zu den spezifischen Phobien. Doch auch subklinische Ängste, wie sie in diesem Artikel beschrieben werden, können belastend sein und negative Konsequenzen hervorrufen.
Begriffserklärung
Spezifische Phobie: «eine ausgeprägte und übermässige Furcht oder Angst, die immer dann auftritt, wenn man einem oder mehreren bestimmten Objekten oder einer oder mehreren bestimmten Situationen ausgesetzt ist, oder wenn man dies erwartet (z. B. Nähe zu bestimmten Tieren, Fliegen, Höhe, geschlossene Räume, Anblick von Blut oder Verletzungen).» (ICD-11, 2022)
Kulturelle Unterschiede
Unterschiedliche Kulturen zeichnen sich durch unterschiedliche Werte, Ansichten und Charakteristiken aus. Auch Wahrnehmungen über das Älterwerden können sich kulturabhängig unterscheiden. Dies untersuchten Löckenhoff et al. (2009), indem sie in 26 Kulturen Versuchspersonen rekrutierten, welche Fragen zum Thema Älterwerden beantworteten. Dabei zeigte sich ein grosser Konsensus zwischen den Kulturen bezüglich der Wahrnehmungen des Älterwerdens. Zu diesen Annahmen gehörte beispielsweise, dass sich mit zunehmendem Alter auch eine Zunahme an Weisheit abzeichnet. Eine weitere Annahme bestand darin, dass bei älteren Menschen eine Abnahme in der Fähigkeit, Alltagsaufgaben zu bewältigen, auftritt. Ein Vergleich zwischen östlichen und westlichen Kulturen ergab, dass in asiatischen Kulturen eine positivere Wahrnehmung bezüglich des Älterwerdens besteht als in westlichen Ländern. Zudem zeigte sich, dass häufigerer Kontakt mit älteren Menschen mit positiveren Wahrnehmungen des Älterwerdens zusammenhängt und dass die Bevölkerungsstruktur eine entscheidende Rolle in diesen Wahrnehmungen spielt.

Eine weitere Begründung für den Unterschied zwischen östlichen und westlichen Kulturen könnte gemäss Segel-Karpas und Bergman (2022) die kollektivistische und individualistische Orientierung dieser Kulturen darstellen. Menschen in kollektivistischen Kulturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an den Prinzipien der Solidarität orientieren und sich stärker um andere sorgen. In individualistischen Kulturen hingegen steht der Mensch als Individuum im Zentrum sowie das Streben nach Selbstverwirklichung (Hui, 1988). Kollektivistische Kulturen können durch ihre Gruppenorientierung somit zu mehr Kontakt zwischen älteren und jüngeren Personen führen und dadurch negative Wahrnehmungen und Angst vor dem Älterwerden reduzieren (Segel-Karpas & Bergman, 2022). Eine Metaanalyse von North und Fiske (2015) fand jedoch auch gegenteilige Befunde, wonach individualistische Kulturen mit positiveren Wahrnehmungen bezüglich des Älterwerdens einhergingen.
Eine weitere Kulturvergleichsstudie untersuchte Unterschiede zwischen Amerika und Südkorea. Dabei zeigte sich, dass die Angst vor dem Älterwerden bei Menschen in Südkorea stärker ausgeprägt ist als in der amerikanischen Bevölkerung (Yun & Lachman, 2006). Diese Ängste beziehen sich auf psychische Aspekte, Veränderungen im Aussehen sowie Angst vor älteren Menschen. Zudem sind diese Ängste bei älteren Menschen stärker ausgeprägt als bei Jüngeren. Geschlechtsunterschiede zeigten sich nur in der amerikanischen Bevölkerung, wo Frauen signifikant mehr Ängste vor dem Älterwerden berichteten als Männer. In Südkorea unterschieden sich die Ängste zwischen den Geschlechtern nicht. Dies lässt sich durch kulturspezifische Geschlechtsunterschiede erklären, da Frauen in Amerika beispielsweise stärker von ihrem Aussehen abhängig sind, um ihr Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten, als Männer. In Südkorea sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern diesbezüglich tendenziell kleiner.

In einer weiteren Studie wurde die amerikanische Kultur mit der deutschen bezüglich ihrer Annahmen über das Älterwerden verglichen (McConatha et al., 2003). Die deutschen Studienteilnehmenden berichteten dabei von negativeren Einstellungen gegenüber dem Alterungsprozess als die amerikanischen. Allerdings gaben die amerikanischen Personen an, sich bereits ab einem früheren Alter als «alt» einzuschätzen als die deutschen Teilnehmenden. Geschlechtsunterschiede zeigten sich in beiden Kulturen, da sowohl amerikanische als auch deutsche Frauen von stärkeren Ängsten vor dem Älterwerden berichteten.
Da auch in Amerika unterschiedliche Ethnizitäten vertreten sind, wurden auch Unterschiede in der Angst vor dem Älterwerden zwischen diesen Bevölkerungsgruppen erforscht. Yan et al. (2011) untersuchten dazu nicht-hispanische Weisse, afroamerikanische Personen sowie hispanische Personen. Zwischen den afroamerikanischen und nicht-hispanischen, weissen Personen zeigte sich kein Unterschied in der Angst vor dem Älterwerden. Hispanische Personen hingegen gaben mehr Ängste vor dem Älterwerden an als nicht-hispanische weisse Personen. Diese Unterschiede standen in Zusammenhang mit dem eher niedrigeren sozioökonomischen Status sowie weniger Wissen über das Altern.
Auch in Israel wurden innerhalb des Landes unterschiedliche Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihrer Angst vor dem Älterwerden untersucht (Bergman et al., 2013). Dabei wurden jüdische Personen sowie muslimisch-arabische Personen in die Studie einbezogen und deren Ansichten und Ängste verglichen. Es zeigte sich, dass die arabischen Personen weniger Angst vor dem Älterwerden sowie Sorgen über Veränderungen im Aussehen aufwiesen als die jüdischen Personen. Jedoch berichteten die arabischen Personen von stärkeren Ängsten bezüglich psychologischer Veränderungen im Alter. Eine Begründung für diese Unterschiede könnte darin liegen, dass der Umgang mit älteren Familienmitgliedern sich zwischen diesen Bevölkerungsgruppen häufig unterscheidet. In jüdischen Familien werden im Schnitt mehr ältere Menschen in Altersheimen oder von ausserfamiliären Betreuungspersonen gepflegt als in arabischen Familien, wobei dies auch dort immer verbreiteter wird.
Fazit
Angst vor dem Älterwerden ist nicht nur ein westliches Phänomen. Auch in vielen anderen Kulturen ist dies weitverbreitet, wobei auch grosse kulturspezifische Unterschiede bestehen. Nicht nur das Ausmass der Angst, sondern auch die Aspekte des Älterwerdens, auf die sich die Angst bezieht, können sich je nach Kultur unterscheiden. Als förderlichen Faktor zeigt sich aber über verschiedene Kulturen hinweg der Kontakt mit älteren Menschen, da sich dadurch Ängste reduzieren lassen.