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Langeweile muss nicht langweilig sein

Der Zustand «Langeweile» als adaptives Signal für alternatives Verhalten
Bilder: Anna Boeker

Eine kurze Beschreibung von dem Konzept Langweile, was sie uns vielleicht sagen möchte und dem motivierenden Charakter, den unsere Langweile haben kann.

E in verregneter Sonntag, nichts zu tun und zum dritten Mal schaust du in den Kühlschrank. Vielleicht hat sich der Inhalt doch verändert. Aus Langweile isst du das letzte Stück Kuchen, obwohl du überhaupt keinen Hunger hast. Langeweile ist ein alltägliches und fast normales Phänomen, das jedoch erstaunlich wenig erforscht ist (Westgate & Wilson, 2018). Langeweile ist überall zu finden, in jedem Alter, bei allen Geschlechtern und in allen Kulturen (Giambra et al., 1992; Ng et al., 2015; Sundberg et al., 1991), sogar bei Tieren (Burn, 2017; Meagher et al., 2017; Meagher & Mason, 2012).

Wir verstehen Langeweile häufig als etwas sehr Negatives und Unerwünschtes. Wenn wir zum Beispiel eine lange Weile warten, bis wir endlich am Ende einer Schlange angelangen. Zwischendrin aufs Handy schauen und versuchen die Situation erträglicher zu machen, aber wenn wir das Ende der Schlange sehen, wissen wir, dass die Langeweile uns einholen wird. Wir wollen uns nicht langweilen. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard beschrieb Langeweile sogar als die Wurzel allen Übels (Kierkegaard, 1992, S. 227).

Aber was genau beschreibt denn der Zustand Langeweile? Von Eastwood und Kollegen wird state boredom als «the aversive state of wanting, but being unable, to engage in a satisfying activity» definiert (Eastwood et al., 2012, S. 483). Das bedeutet, dass Langeweile unangenehm ist und auftritt, wenn eine Person nicht in der Lage ist, zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine befriedigende Tätigkeit auszuüben, dies aber möchte. Fehlt uns ein Ziel oder weichen unsere aktuellen Handlungen von den eigenen Zielen ab oder besteht eine Diskrepanz zwischen kognitiven Anforderungen und verfügbaren Ressourcen, resultiert Langeweile. Unterforderung sowie Überforderung können Ursachen sein. Funktionale Theorien fokussieren sich nicht auf die Ursachen, sondern auf das, was Langweile mit uns macht. Zwei Funktionen werden als zentral beschrieben: (1) sie informiert uns über unsere Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation und (2) sie motiviert uns, nach einer interessanteren, erfüllenderen oder sinnvolleren Situation zu streben (Elpidorou, 2018).

Interessant wird es demnach, wenn wir betrachten, wie wir auf Langeweile reagieren oder vielleicht sogar versuchen ihr zu entkommen. So können Verhaltenstendenzen maladaptiv, aber ebenso adaptiv sein. In einzelnen Studien konnten adaptive Verhaltensweisen als Reaktion auf Langeweile gefunden werden. Prosoziales Verhalten (van Tilburg & Igou, 2017) oder körperliche Aktivität (Fisher, 1987; Harris, 2000; Morris et al., 2003) sind Beispiele.

Langeweile kann also nicht nur ein unangenehmer Zustand sein, sondern auch als adaptives Signal verstanden werden. Ein Signal, das uns zu anderem Verhalten motiviert. Langeweile spielt folglich eine zentrale Rolle bei zielgerichtetem Verhalten und kann in diesem Zusammenhang sogar unser Wohlbefinden fördern (Elpidorou, 2018). Allerdings schreibt uns Langweile nicht vor, wie genau wir uns alternativ Verhalten sollen.

Es wurden einige Verhaltensweisen mit Langeweile in Verbindung gebracht, welche langfristig schädlich sind. Beispielsweise problematisches Essverhalten (Havermans et al., 2015) oder übermäßige Smartphone-Nutzung (Elhai et al., 2018) und weitere. Es liegt also bei uns wie wir mit Langweile in unserem normalen Alltag umgehen. Vielleicht hast du aus Langweile sogar diesen ganzen Artikel gelesen, man muss wirklich aufpassen.

Zum Weiterlesen

Referenzen

  • Burn, C. C. (2017). Bestial boredom: A biological perspective on animal boredom and suggestions for its scientific investigation. Animal Behaviour, 130, 141–151. https://doi.org/10.1016/j.anbehav.2017.06.006
  • Eastwood, J. D., Frischen, A., Fenske, M. J. & Smilek, D. (2012). The unengaged mind: Defining boredom in terms of attention. Perspectives on Psychological Science, 7(5), 482–495. https://doi.org/10.1177/1745691612456044
  • Elhai, J. D., Vasquez, J. K., Lustgarten, S. D., Levine, J. C. & Hall, B. J. (2018). Proneness to boredom mediates relationships between problematic smartphone use with depression and anxiety severity. Social Science Computer Review, 36(6), 707–720. https://doi.org/10.1177/0894439317741087
  • Elpidorou, A. (2018). The good of boredom. Philosophical Psychology, 31(3), 323–351. https://doi.org/10.1080/09515089.2017.1346240
  • Fisher, C. D. (1987). Boredom: Construct, causes and consequences: Technical report ONR-9. Texas A & M University. https://doi.org/10.21236/ada182937
  • Giambra, L. M., Camp, C. J. & Grodsky, A. (1992). Curiosity and stimulation seeking across the adult life span: Cross-sectional and 6- to 8-year longitudinal findings. Psychology and Aging, 7(1), 150–157. https://doi.org/10.1037/0882-7974.7.1.150
  • Harris, M. B. (2000). Correlates and characteristics of boredom proneness and boredom. Journal of Applied Social Psychology, 30(3), 576–598. [https://doi.org/10.1111/j.1559- 1816.2000.tb02497.x](https://doi.org/10.1111/j.1559- 1816.2000.tb02497.x)
  • Havermans, R. C., Vancleef, L., Kalamatianos, A. & Nederkoorn, C. (2015). Eating and inflicting pain out of boredom. Appetite, 85, 52–57. https://doi.org/10.1016/j.appet.2014.11.007
  • Kierkegaard, S. (1992). Either / Or: A fragment of life. (V. Eremita, Hg., A. Hannay, Übers.). Penguin Books. (Originalwerk veröffentlicht 1843)
  • Meagher, R. K., Campbell, D. L. & Mason, G. J. (2017). Boredom-like states in mink and their behavioural correlates: A replicate study. Applied Animal Behaviour Science, 197, 112–119. https://doi.org/10.1016/j.applanim.2017.08.001
  • Meagher, R. K. & Mason, G. J. (2012). Environmental enrichment reduces signs of boredom in caged mink. Plos One, 7(11), e49180. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0049180
  • Morris, L., Sallybanks, J. & Willis, K. (2003). Sport, physical activity and antisocial behaviour in youth. Trends & issues in crime and criminal justice: Bd. 249. Australian Institute of Criminology.
  • Ng, A. H., Liu, Y., Chen, J. & Eastwood, J. D. (2015). Culture and state boredom: A comparison between European Canadians and Chinese. Personality and Individual Differences, 75, 13–18. https://doi.org/10.1016/j.paid.2014.10.052
  • Sundberg, N. D., Latkin, C. A., Farmer, R. F. & Saoud, J. (1991). Boredom in young adults: Gender and cultural comparisons. Journal of Cross-Cultural Psychology, 22(2), 209–223. https://doi.org/10.1177/0022022191222003
  • van Tilburg, W. A. P. & Igou, E. R. (2017). Can boredom help? Increased prosocial intentions in response to boredom. Self and Identity, 16(1), 82–96. https://doi.org/10.1080/15298868.2016.1218925
  • Westgate, E. C. & Wilson, T. D. (2018). Boring thoughts and bored minds: The MAC model of boredom and cognitive engagement. Psychological Review, 125(5), 689–713. https://doi.org/10.1037/rev0000097