Erinnerungen sind ein fragiles Konstrukt und keineswegs immer eine akkurate Repräsentation der Vergangenheit. Menschen können sogar dazu gebracht werden, sich glaubhaft an etwas zu erinnern, das sie nie wirklich erlebt haben. Wie ist eine solche Beeinflussung des Gedächtnisses möglich und wie genau äussert sie sich?
«Memory, like liberty, is a fragile thing.»
E rinnerungen sind unsere täglichen Begleiter. Sie leiten die Gegenwart, indem sie bestimmen, wie wir unsere Vergangenheit repräsentieren und ermöglichen uns somit die Navigation durch eine komplexe Welt. Sie sind so einzigartig, wie sie subjektiv sind. Unser Gedächtnis ist kein Archiv sorgfältig abgelegter Dokumente – im Gegenteil, oft werden unsere so klar scheinenden Erinnerungen nachträglich verzerrt und um neue Informationen ergänzt. Vielleicht haben Sie schon einmal erlebt, dass es Ihnen schwerfiel, auseinanderzuhalten, was sie selbst erlebt haben, was andere Ihnen erzählt haben und was wirklich passiert ist – nicht etwa in einem Film, den sie kürzlich gesehen haben oder in einem Traum, der Ihnen so realistisch vorkam. Dieses Phänomen nennen Fachleute Gedächtniskonformität, was so viel bedeutet wie Angleichung von Erlebnissen.
Wie zuverlässig ist also unser Gedächtnis wirklich? Bedeuten Phänomene wie Gedächtniskonformität, dass wir unseren Erinnerungen nicht trauen können? Ist es möglich, dass wir uns an nicht erlebte Ereignisse erinnern, als wären sie wirklich passiert? «Ja», sagt die American Psychological Association. Sie definiert sogenannte falsche Erinnerungen wie folgt: «Eine verzerrte Erinnerung an ein Ereignis oder, im schlimmsten Fall, eine Erinnerung an ein Ereignis, das nie stattgefunden hat. Trotzdem glauben die Menschen an ihre Wahrhaftigkeit und sind in der Regel sehr von ihrer Richtigkeit überzeugt, da sie dazu neigen, sich sehr lebhaft zu erinnern» (American Psychological Association, 2018, Abschnitt 1). Solche falschen Erinnerungen sind nicht mit kleinen Erinnerungsfehlern zu verwechseln, mit denen jeder im Alltag hin und wieder konfrontiert ist («Ich weiss genau, dass ich den Schlüssel auf die Kommode gelegt habe») – ihre Folgen sind weitaus gravierender.
Wozu haben wir Erinnerungen?
Einige Autor*innen legen nahe, dass unser Gedächtnis und damit unsere Erinnerungen einzig dem Zweck dienen, Entscheidungen zu treffen (Biderman et al., 2020). Hierbei spielt der Hippocampus eine wichtige Rolle. Man könnte sagen, er zeichnet die Vergangenheit auf, um daraus zukünftiges Verhalten ableiten zu können. Schreibt man Erinnerungen diese Funktion zu, dann könnte sich auch die Interpretation von Erinnerungsfehlern ändern. Es würde sich nur dann noch um wirkliche Fehler handeln, wenn man die Aufgabe des Gedächtnisses in einer vollkommen akkuraten Aufzeichnung vergangener Erfahrungen sieht. Sieht man die Aufgabe des Gedächtnisses jedoch vor allem in der Entscheidungsfindung, können Erinnerungsfehler als kennzeichnend für ein flexibles Systems betrachtet werden, das relevante Erfahrungen aus der Vergangenheit bereitstellt, um das Verhalten in einer sich verändernden und unsicheren Welt zu steuern. Sie haben eine grundlegende adaptive Funktion: Die Integration von zeitlich getrennten Erfahrungen in ein komplexes und miteinander verbundenes Modell unserer Erfahrungen, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft (siehe Biderman et al., 2020).
Was steckt hinter den falschen Erinnerungen?
Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, welche Mechanismen dem Phänomen der falschen Erinnerungen zugrunde liegen, werden aktuell verschiedene Erklärungen diskutiert. Einerseits könnten falsche Erinnerungen die Folge der Aufnahme von Fehlinformationen und der Aktivierung der damit verbundenen Assoziationen sein (Fehlinformationseffekt; Loftus, 1993). Andererseits könnten sie durch eine Fehlzuordnung von verschiedenen Informationsquellen (Schacter & Dodson, 2001) oder der Verwendung bestimmter Wörter entstehen, die in der Lage sind, Assoziationen auf suggestive Weise zu wecken (i.e., Suggestion). Diese Assoziationen beeinflussen und verändern die Erinnerung an das Ereignis (Loftus & Palmer, 1974). Eine der führenden Forscherinnen zu diesem Thema, Elizabeth Loftus, hat mit ihren Experimenten weltweit Bekanntheit erlangt. In diesen gelang es ihr zu demonstrieren, welche starke Macht Worte auf unser Gedächtnis haben können und wie die erwähnten Mechanismen zu der Entstehung falscher Erinnerungen beitragen. In einer ihrer bekanntesten Studien (Loftus & Palmer, 1974) sahen die Proband*innen eine Reihe von Bildern, die einen Zusammenstoss zwischen einem Auto und einem Fußgänger zeigten. Anschließend sollten sie sich an in den Bildern gezeigte Verkehrszeichen erinnern, wobei zuvor falsche Informationen in die Frage integriert worden waren. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die irreführenden Informationen, denen die Versuchspersonen nach dem Ereignis ausgesetzt waren, in ihre Erinnerung an das Ereignis integriert wurden – ein Paradebeispiel für den Fehlinformationseffekt. Daneben weist die Studie auch auf den Effekt von Suggestion hin. Es zeigte sich in dem Experiment, dass je nachdem, welches Wort in der Beschreibung des Zusammenstosses für die Probanden verwendet wurde – «ineinander krachen» oder «auffahren» – der eigens beobachtete Unfall im Nachhinein unterschiedlich schwerwiegend erinnert wurde. Studien in anderen Laboren erbrachten ähnliche Ergebnisse, die Loftus' Erkenntnisse über die Implantation falscher Erinnerungen durch Suggestion stützen (siehe z.B. Lotus, 1995).
In einer weiteren Studie (Loftus & Pickrell, 1995) geht Loftus noch einen Schritt weiter und schafft es, existierende Erinnerungen nicht nur zu verändern, sondern nie existierende Erinnerungen glaubhaft zu erzeugen. In ihrer «Lost-in-the-Mall-Studie» wurden den Teilnehmenden vier Geschichten aus der eigenen Kindheit erzählt. Von diesen waren drei Geschichten wahr (die Informationen stammten von den Angehörigen) und eine ein frei erfundenes Szenario, welches beschrieb wie die Probandin/der Proband in einem Einkaufszentrum verloren gegangen sei. Die Ergebnisse sprechen für sich: 29 Prozent der Teilnehmer*innen erinnerten sich entweder teilweise oder vollständig an das konstruierte falsche Ereignis und 25 Prozent gaben zu einer späteren Nachbefragung immer noch an, sich an das fiktive Ereignis zu erinnern (Loftus, 1997). Es konnten also mehr als ein Viertel der Versuchspersonen dazu gebracht werden, ein vollkommen fiktives Vorkommnis als ihre eigens erlebte Erinnerung zu begreifen. Hier zeigt sich auf beeindruckende wie vielleicht auch erschreckende Weise, welche Wirkung gezielt sowie geschickt platzierte Fehlinformationen auf das menschliche Gedächtnis haben können. Diese Erkenntnis hat eine grosse Bedeutung für die Forensik und Rechtspsychologie, weil sie darauf aufmerksam macht, wie fragil beispielsweise Augenberichte sein können, die im Nachhinein an ein Ereignis erfragt werden.
Falsche Erinnerungen in der Psychotherapie
Doch nicht nur im Rechtsbereich haben Loftus’ Ergebnisse ihre Spuren hinterlassen; auch in der klinischen Psychologie treten falsche Erinnerungen auf und können verheerende Konsequenzen mit sich bringen. Das Tragische hierbei ist, dass keiner böswillige Absichten hat. Im Gegenteil: Man glaubt, die Wahrheit gefunden zu haben, zerstört jedoch im schlimmsten Fall die Leben anderer, oftmals eng verwandter Menschen.
In der Psychotherapie, beispielsweise der Traumtherapie oder der tiefenpsychologischen Therapie, wird nicht selten mit verdrängten Erinnerungen an sehr belastenden Erlebnissen gearbeitet. Dabei sollen tatsächlich stattgefundene, verdrängte Erinnerungen aus früherer Zeit wiederhergestellt werden.
Kommen nun aber falsche Erinnerungen ins Spiel, werden stattdessen Erinnerungen kreiert, die es nie gegeben hat. Das kann schwerwiegende rechtliche und persönliche Folgen für die Betroffenen und ihr Umfeld haben (Loftus, 1997, S.71). Ein viel untersuchtes Beispiel für einen solchen Fall ist die Geschichte von Gary Ramona, dem Vater von Holly Ramona. Es war der erste Fall eines Rechtsstreits gegen einen Therapeuten wegen implantierter Erinnerungen: Im Jahr 1990 beschuldigte die 19-jährige Holly Ramona ihren Vater des wiederholten sexuellen Missbrauchs von ihrem fünften bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr. Wie kam es dazu? Als Holly wegen Bulimie und Depressionen behandelt wurde, baten ihre Therapeut*innen sie, Natriumamytal einzunehmen, das angeblich verdrängte Erinnerungen zurückbringen würde. Sie vermuteten nämlich einen sexuellen Missbrauch in ihrer Vergangenheit, an den Holly sich nicht mehr erinnerte. Dabei beriefen sie sich auf die damalige Erkenntnis, dass rund 60 bis 70 Prozent der Patient*innen mit Essstörungen von sexuellem Missbrauch betroffen waren sowie auf die Überzeugung, dass Bulimie durch Inzest verursacht wird. Letztendlich sollten sie in ihren Annahmen (zu Unrecht) bestätigt werden: Holly gab nach einiger Zeit in der Therapie an, sich an sexuellen Missbrauch zu erinnern – obwohl dieser nach heutigen Erkenntnissen nie stattgefunden hat (Vitelli, 2012). Dieser Fall bleibt kein Einzelfall. Im Laufe der Zeit gab es noch viele ähnliche Fälle, die mit falschen Erinnerungen in Zusammenhang gebracht werden (Loftus, 2013).
Grundsätzlich passiert ein Erinnern an Missbrauchsfälle während der Therapie nicht selten: Von insgesamt 690 Klienten berichteten Therapeut*innen, dass sich im Laufe der Therapie 65 Prozent an sexuellen Kindesmissbrauch und 35 Prozent an andere Traumata erinnerten. Mit den neueren Erkenntnissen zu falschen Erinnerungen kommt die Frage auf, welche dieser Erinnerungen real sind, wenn man berücksichtigt, dass Techniken zur Unterstützung des Erinnerns bei immerhin 42 Prozent der Patient*innen eingesetzt wurden (Brewin & Andrews, 2017). Bei diesen Techniken handelt es sich um gängige Behandlungsansätze wie geführte Imagination, Traumdeutung, Hypnose und direkte Konfrontation auf Grundlage der Erinnerungen anderer Personen (Loftus, 2013). Erinnerungen werden dabei konstruiert, indem tatsächliche Erinnerungen mit Suggestionen durch den Therapeuten/ die Therapeutin kombiniert werden. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen selbst erlebten und uns erzählten Ereignissen anhand der Informationen, die mit dem Ereignis verbunden sind. Je mehr Informationen wir haben, desto eher sind wir der Überzeugung, etwas selbst erlebt zu haben. Die suggerierten Informationen lösen nun aber einen Prozess aus, in dem nicht nur die neuen Informationen dazukommen, sondern aus diesen Informationen Schlussfolgerungen über die erzählten Ereignisse konstruiert werden. Zusammen ergibt sich damit ein ganz neues Gebilde an umfassenden Informationen, die Teil der Erinnerung einer Person werden. Die zunächst fremde und neue Information wird von da an als eigene Erinnerung betrachtet (Loftus, 1997; Otgaar et al., 2022).
Die American Psychology Association (2018) spricht in diesem Zusammenhang vom False-Memory-Syndrom (FMS). Es beschreibt, wie Erwachsene scheinbar Erinnerungen daran zurückgewinnen, als Kind körperlich oder sexuell missbraucht worden zu sein, wobei solche Rückgewinne häufig während einer Therapie auftreten. Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um einen anerkannten diagnostischen Begriff handelt, sondern lediglich das Phänomen der falschen Erinnerungen benannt wird. Obwohl es keine konkreten Zahlen gibt, wird davon ausgegangen, dass es allein in den USA pro Jahr etwa eine Million Patient*innen gibt, die Opfer von implantierten falschen Erinnerungen werden. In Anbetracht der nicht erfassten Fälle ist die Zahl wahrscheinlich noch höher (Pope, 1996).
«Erinnerungen bleiben nur solche, wenn ihre Wahrheit sich im Laufe der Zeit verändert.»
Ein Fazit
Das Thema rund um falsche Erinnerung ist deshalb so populär, weil es fesselnd ist und zugleich uns alle betreffen kann. Es fasziniert zu sehen, wie Worte dazu in der Lage sind, in unserem Kopf die erlebte Welt zu verändern. Elizabeth Loftus führt uns an die Grenzen des menschlichen Gedächtnisses und zeigt auf beeindruckende Weise, wie mit Methoden wie Suggestion und dem Platzieren von Fehlinformationen menschliches Erinnern beeinflusst werden kann – bewusst oder unbewusst. Dennoch bleiben viele Fragen offen, sodass wir Vorsicht walten lassen müssen, wenn es darum geht, Anschuldigungen zu tätigen. Erinnerungen sind und bleiben subjektiv und wenn sie nicht in einem Experiment kontrolliert untersucht werden, dann wird es zur Herausforderung Real von Falsch zu unterscheiden. Es bleibt daher spannend, was die Forschung zu falschen Erinnerungen weiterhin aufdecken wird und welche neuen Erkenntnisse uns in Zukunft uns selbst hinterfragen lassen werden.