Während visuelle Halluzinationen in Filmen gerne als aussergewöhnliche Extremfälle dargestellt werden, sind sie gar nicht so selten, wie man vermuten mag. Meist gehen sie mit erheblichem Leiden Betroffener einher. Was sind visuelle Halluzinationen und wann kommen sie vor?
W er kennt den Film A Beautiful Mind - Genie und Wahnsinn? Der Film behandelt (Achtung, Spoiler Alert!) die Lebensgeschichte des begabten Mathematikers John Nash, welcher mit etwa 30 Jahren an Schizophrenie erkrankte. Das Leben von Nash war fortan durch Wahnvorstellungen und Halluzinationen geprägt. Sogar sein Zimmergenosse stellt sich im Film schlussendlich als reine Halluzination heraus. Tatsächlich können visuelle Halluzinationen ähnlich dieser filmischen Darstellung erlebt werden.
Halluzinationen kommen auch in der gesunden Allgemeinbevölkerung mit einer Prävalenz von 6 bis 15 Prozent vor (Blom, 2013). Das bedeutet, dass auch abseits einer Erkrankung visuelle Halluzinationen auftreten können. Wie häufig visuelle Halluzinationen in der Gesamtheit pathologischer Zustände auftreten, bleibt aufgrund ihrer Heterogenität und der teils ungewissen zugrunde liegenden Mechanismen ungeklärt (Fénelon, 2013). Besonders wenn visuelle Halluzinationen als Folge einer Krankheit oder psychischen Störung auftreten, zeigen sich klare Konsequenzen für Betroffene. Das Sehen von nicht-existierenden Dingen stellt oftmals die gesamte Wahrnehmung der realen Aussenwelt infrage; Gefühle des Kontrollverlusts und der Unsicherheit stellen sich ein. Das Auftreten visueller Halluzinationen ist mit erheblichem Leiden verbunden. Beispielsweise gehen diese Halluzinationen mit häufigeren und längeren Klinikaufenthalten, einer eingeschränkteren Funktionsfähigkeit, schwerwiegenderen Symptomen und einer erhöhten Suizidwahrscheinlichkeit einher (Oorschot et al., 2012).

Was sind visuelle Halluzinationen?
Visuelle Halluzinationen können im Rahmen unterschiedlicher neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen und Störungen auftreten. Beispiele für neurologische Ursachen sind Migränen, Epilepsien, Delirien, Demenzen, Tumore und Schlaganfälle. Psychiatrische Ursachen umfassen Manien, Depressionen, Substanzabhängigkeiten und Psychosen (Norton & Corbett, 2000).
Definiert werden visuelle Halluzinationen als visuelle Wahrnehmungen, welche auftreten, obwohl kein entsprechender äusserer visueller Reiz vorhanden ist (Blom, 2013). Klassischerweise werden visuelle Halluzinationen in einfache, geometrische und komplexe Wahrnehmungen eingeteilt. Beispiele für einfache visuelle Halluzinationen sind Lichtblitze und farblose Formen. Geometrische visuelle Halluzinationen können Spinnweben, Wabenmuster, Gitter sowie Spiralen umfassen, während komplexe visuelle Halluzinationen Wahrnehmungen von Gesichtern, Menschen, Tieren oder Landschaften bezeichnen (Blom, 2013).
Rein visuelle Halluzinationen (unimodal) sind charakteristisch für neurologische Erkrankungen wie die Lewy-Body-Demenz oder die Parkinson-Erkrankung (Barnes & David, 2001). Multimodale Halluzinationen, die visuelle Bestandteile beinhalten können, kommen beispielsweise bei Delirien oder psychotischen Störungen aus dem Schizophrenie-Spektrum vor (Dudley et al., 2018). Beispielsweise zeigen sich bei Migränen häufig einfache Wahrnehmungen wie gezackte Linien im Gesichtsfeld, während bei einer Parkinson-Erkrankung oder Lewy-Body-Demenz die visuellen Halluzinationen meistens unter geringer visueller Klarheit wahrgenommen werden (Van Ommen et al., 2019). Zu visuellen Halluzinationen während Psychosen sind nur wenige quantitative Studien verfügbar. Auffällig ist hier jedoch das breite Spektrum von visuellen Halluzinationen bei Psychosen (Van Ommen et al., 2019). Sie können einfach, geometrisch oder komplex sein und sowohl schwarz-weiss als auch farbig, statisch oder dynamisch, in unterschiedlichen Grössen sowie tagsüber oder nachts auftreten (Van Ommen et al., 2019). Doch was ist eigentlich genau eine Psychose?
«[I also see] just random people that I don’t know, I’ve never seen. They just stand there, staring at us either smiling, laughing. Or I’ll have some ones that are crying. They’ll have the facial expression, they’ll point at ya, shake their head like you’re doing something wrong.»
Psychosen stellen ein häufiges, funktionell stark beeinträchtigendes Symptom verschiedener Störungen dar (Arciniegas, 2015). Sie können bei unterschiedlichen psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen vorkommen. Beispielsweise ist die Psychose ein zentrales Merkmal von Störungen des Schizophrenie-Spektrums, sie kann aber auch bei weiteren Erkrankungen wie affektiven Störungen oder Substanzgebrauchsstörungen in Erscheinung treten (Arciniegas, 2015). Definiert wird die Psychose hauptsächlich über Wahnvorstellungen und Halluzinationen oder einer Kombination dieser (Arciniegas, 2015). Halluzinationen werden dabei als Sinnestäuschungen ohne Einsicht der betroffenen Person definiert, also mit fehlender Realitätsprüfung. Nur wenn die eigene Einsicht fehlt, kann die Halluzination als psychotisches Symptom definiert werden (Arciniegas, 2015). Eine wichtige Rolle in der Differenzierung von Halluzinationen spielt somit die eigene Einsicht und der Leidensdruck der Betroffenen (Hill & Linden, 2013). Im Folgenden wird näher auf visuelle Halluzinationen im Rahmen von psychotischen Störungen eingegangen.
Was wird von Betroffenen wahrgenommen?
Etwa eine von drei Personen in einer psychotischen Erstepisode erlebt visuelle Halluzinationen (Allen et al., 2023). Visuelle Halluzinationen bei Psychosen setzen sich oft aus multimodalen Erfahrungen zusammen, die sich zusätzlich zu visuellen Aspekten beispielsweise auch aus auditiven oder haptischen Elementen zusammensetzen (Dudley et al., 2018). Gemäss einer qualitativen Analyse von Aynsworth et al. (2024) spiegeln visuelle Halluzinationen hauptsächlich die reale Aussenwelt wider. Am häufigsten werden Menschen gesehen, die sich ähnlich wie tatsächliche Menschen verhalten. Visuelle Halluzinationen während psychotischen Episoden sind also mehrheitlich komplex, dynamisch, multisensorisch und sogar interaktiv (Aynsworth et al., 2024). Es handelt sich also nicht um statische und stille Bilder, sondern potenziell interagierende Halluzinationen, die mit mehreren sensorischen Wahrnehmungen einhergehen können. Auch deshalb werden visuelle Halluzinationen oft als einflussreich und belastend erlebt (Oorschot et al., 2012). Besonders problematisch sind die dabei häufig erlebten beängstigenden Inhalte (Van Ommen et al., 2023). In der Regel verschwinden visuelle Halluzinationen nicht durch Blinzeln, was zu einem Gefühl des Kontrollverlusts beiträgt und die Einsicht zusätzlich vermindert (Waters et al., 2014).
Die Absenz von V1
Interessanterweise scheinen komplexe visuelle Halluzinationen mit einer fehlenden Aktivität im primären visuellen Cortex (V1) einherzugehen. Die Dissoziation des V1 vom restlichen visuellen Netzwerk während psychotischen, visuellen Halluzinationen scheint eine zentrale Rolle bei deren Entstehung zu spielen (Van Ommen et al., 2023). Beispielsweise zeigt die aktuelle fMRT-Forschung, dass Patient*innen mit visuellen Halluzinationen eine generell reduzierte Kommunikation zwischen V1 und weiteren relevanten Gehirnregionen aufweisen (van Ommen et al., 2022).
Gleichzeitig scheinen aber höhere visuelle Areale sowie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisnetzwerke während visuellen Halluzinationen eine erhöhte Aktivität zu zeigen (Van Ommen et al., 2023). So könnten eine gestörte visuelle Verarbeitung, dysfunktionale Aufmerksamkeitslenkung und eine mangelnde Differenzierung zwischen Innen- und Aussenwelt, also die Wahrnehmung intern generierter visueller Informationen als äussere Reize, zu visuellen Halluzinationen während psychotischen Episoden beitragen (Shine et al., 2014).
Ätiologie und Behandlung
Besonders interpersonelle Traumata in der Kindheit scheinen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten psychotischer visueller Halluzinationen in Zusammenhang zu stehen (Solesvik et al., 2016). Insbesondere emotionaler Missbrauch und physische Vernachlässigung hängen mit der Schwere visueller Halluzinationen zusammen (Ucok & Bikmaz, 2007). Obwohl diese begünstigenden Faktoren bekannt sind, bleibt die Pathophysiologie visueller Halluzinationen bei psychotischen Störungen bisher mehrheitlich unklar (Van Ommen et al., 2023).
Es mangelt an effektiven Behandlungsmethoden für visuelle Halluzinationen (Thomson et al., 2017). Von acht Prozent der Patient*innen mit einer Erstepisoden-Psychose werden auch nach einem Jahr antipsychotischer Behandlung weiterhin leichte bis mittelschwere Halluzinationen erlebt (Van Ommen et al., 2023). Antipsychotische Medikamente zeigen je nach Patient*in eine individuelle Wirksamkeit bei der Symptomreduktion. Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) kann als Ergänzung bei psychotischen Patient*innen, die Halluzinationen erleben, angewendet werden. Auch transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist in der Lage, die Schwere und Häufigkeit der Halluzinationen zu verringern (Sommer et al., 2012). Weitere Forschung zur Effektivität der jeweiligen Behandlungsansätze ist jedoch dringend nötig.
Konklusion
Zusammenfassend sind die Komplexität und das breite klinische Spektrum visueller Halluzinationen hervorzuheben (van Ommen et al., 2019). Besonders häufig sind visuelle Halluzinationen mit beängstigenden Inhalten (Waters et al., 2014). Visuelle Halluzinationen stellen bedeutende Risikofaktoren für funktionelle Beeinträchtigungen und eine erhöhte Suizidwahrscheinlichkeit dar, was den hohen Stellenwert deren klinischen Erfassung unterstreicht (Kreis et al., 2024). Vertiefte Forschung und die Entwicklung effektiver Behandlungsansätze sind von zentraler Bedeutung.