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Wandel

Neue Liebe im hohen Alter

Vom Verliebtsein am Ende des Lebens
Bilder: Ida Baumgardt

Neue Liebesbeziehungen eröffnen älteren Menschen Chancen auf emotionale Erfüllung und soziale Verbundenheit – und fordern traditionelle Altersbilder heraus. Welche Bedeutung hat eine neue Partnerschaft im höheren Lebensalter und welche Hindernisse bestehen?

D a die durchschnittliche Lebenserwartung immer weiter steigt und ein erheblicher Anteil der heute 65-Jährigen ein Alter von über 90 Jahren erreichen wird (Moore & Sailor, 2018), gewinnt die Bedeutung von Intimität und sozialen Beziehungen im höheren Lebensalter zunehmend an Relevanz. Studien haben schon früh die Bedeutsamkeit unterstützender Beziehungen für das Wohlbefinden älterer Menschen hervorgehoben - starke emotionale Bindungen zu Familie und Freund*innen bewirken eine höhere Lebenszufriedenheit und wirken Einsamkeit entgegen (Grau & Susser, 1989; Pinquart & Sörensen, 2001). Doch auch aktive romantische Beziehungen im Alter tragen laut Studien positiv zur Lebensqualität und Zufriedenheit bei (Laumann et al., 2006; Thomas, Hess & Thurston, 2015). Trotz dieser Befunde gibt es bisher nur wenig Forschung zu neuen Partnerschaften und Formen von Intimität im hohen Alter. Dies könnte auf fortbestehende gesellschaftliche Vorstellungen zurückzuführen sein, die Intimität ausschliesslich innerhalb der Ehe verorten. (Bildtgård & Öberg, 2015).

«Eine weitere Erklärung ist das Fortbestehen eines kollektiven Verständnisses des Alterns, das eher mit Einschränkungen und Abhängigkeiten als mit Ressourcen und Möglichkeiten verbunden ist.»

Bildtgård & Öberg, 2015, S. 1

Inzwischen zeichnen sich jedoch kulturelle Veränderungen ab: Intimität im Alter wird zunehmend sichtbarer gemacht und gesellschaftlich akzeptiert (Bildtgard & Örberg, 2015). So werden ältere Menschen in populären Medien häufiger als sexuell aktiv dargestellt, und viele haben im Laufe ihres Lebens mehrere intime Beziehungen erlebt. Diese Entwicklungen fordern traditionelle Altersbilder heraus und zeigen die wandelnde Bedeutung von Beziehungen im höheren Lebensalter (Bildtgard & Örberg, 2015).

Einsamkeit im Alter

Einsamkeit im höheren Alter ist ein zentraler Risikofaktor für psychische Belastung und kann sowohl Morbidität als auch Mortalität erhöhen (Moore & Sailor, 2018). Studien zeigen Zusammenhänge mit kognitivem Abbau, sinkender Lebenszufriedenheit und weiteren gesundheitlichen Risiken (Gow et al., 2007). Wenn Partner*in, enge Freund*innen oder Familie fehlen, kann der Zugewinn an Freizeit im Ruhestand paradoxerweise die Gefahr sozialer Isolation weiter erhöhen (Bildtgard & Öberg, 2015).

Der Faktor Zeit

Altern geht oft mit einer Neuausrichtung der Lebensziele einher. Beispielsweise gewinnen harmonische Beziehungen im Alter an Priorität (Carstensen, 2006). Gleichzeitig eröffnet der Ruhestand durch neu gewonnene Freizeit und dem grossteiligen Wegfallen familiärer und beruflicher Verpflichtungen, Raum für neue intime Partnerschaften (Laslett, 1991; Bildtgård & Öberg, 2015). Die paradoxe Situation, viel freie Zeit zu haben, aber wenig verbleibende Lebenszeit, verleiht diesen Beziehungen eine besondere Tiefe (Bildtgård & Öberg, 2015).

Im Gegensatz dazu kann die freie Zeit im Alter, besonders bei verwitweten Menschen, auch Einsamkeit verstärken (Moore & Sailor, 2018; Bildtgård & Öberg, 2015). Vor allem in diesen Fällen kann eine neue Beziehung zu einem Wendepunkt werden und eine hoffnungsvolle Perspektive auf das verbleibende Leben bieten. (Moore & Sailor, 2018; Bildtgård & Öberg, 2015).

Bildtgård & Öberg (2015) interviewten 28 Personen im Alter von 63–91 Jahren. Alle Teilnehmenden waren über 60 Jahre alt und in einer neuen intimen Beziehung, oder single und auf der Suchen nach einer Partnerperson. Viele beschreiben ihre späten Partnerschaften als die erfüllendsten ihres Lebens. Eine Interviewte etwa betont, dass sie Liebe erst im Alter so intensiv erlebt habe. Für manche dient die Partnerperson als Vehikel zum Erleben neuer Aktivitäten, für andere wirkt die Beziehung selbst als Ausdruck einer Selbstverwirklichung (Bildtgård & Öberg, 2015).

Scham und Tabu

Trotz der nachgewiesenen Schutzfaktoren romantischer Beziehungen im höheren Alter gibt es jedoch zahlreiche Barrieren und gesellschaftliche Hürden, die neue Partnerschaften erschweren. Noch immer wird hohes Alter häufig mit Asexualität oder einem Mangel an Beziehungsbedürfnissen assoziiert (Fileborn et al., 2015). Moore & Sailor (2018) suggerieren, dass ältere Erwachsene möglicherweise ein Bedürfnis nach einer neuen romantischen Beziehung unterdrücken, um Stigmatisierung oder Spott zu vermeiden.

Fileborne et al. (2015) zeigten zudem in ihrer Studie mit älteren Frauen, dass ein grosses Bedürfnis nach mehr Ressourcen und Bildung zum Thema Sexualität im hohen Alter besteht. Ihnen zufolge kann dieser Mangel an Informationen zum Teil der Zuschreibung von Asexualität zu älteren Menschen verschuldet werden. Eine Teilnehmerin der Studie betonte in ihrem Interview: «Ich denke das ist wirklich wichtig zu erwähnen; es gibt keine Bücher über Sexualität für ältere Menschen» (Joy, 59J; Fileborne et al., 2015, S.125).

Geschlechtsunterschiede

Auffälligerweise gibt es deutliche Geschlechtsunterschiede in der Entscheidung, eine neue Beziehung einzugehen. Ältere Frauen sind deutlich häufiger alleinstehend als Männer: So waren im Jahr 2015 in den USA 70 % der älteren Männer verheiratet, jedoch nur 45 % der Frauen – und über ein Drittel der Frauen verwitwet (U.S. Department of Health and Human Services, 2015). Damit sind Frauen nach dem 65. Lebensjahr signifikant häufiger alleinstehend, was das Risiko für Einsamkeit und psychische Belastungen erhöht (Segal, 2013; Honigh-de Vlaming et al., 2013). Dennoch stehen viele verwitwete Frauen neuen Partnerschaften skeptisch gegenüber. Qualitative Studien zeigen, dass traditionelle Rollenerwartungen dazu beitragen, dass viele Frauen das Alleinleben vorziehen. Und das trotz einem bestehenden Wunsch nach Nähe; unter anderem, weil sie befürchten, erneut für einen gemeinsamen Haushalt verantwortlich sein zu müssen (Bildtgård & Öberg, 2015). Davidson (2001) führte Interviews mit verwitweten Menschen, welche single geblieben sind. In der Beschreibung ihrer Erfahrung griffen die Witwen häufig auf das Wort «Freiheit» zurück, da sie sich nun nicht mehr ständig um jemanden kümmern müssen. Im Gegensatz dazu wurde dieses Gefühl nie von den Witwern erwidert (Davidson, 2001).

Fazit

Neue Liebesbeziehungen im hohen Alter eröffnen bedeutsame Möglichkeiten für emotionale Erfüllung und soziale Verbundenheit. Gleichzeitig stellen sie traditionelle Altersbilder infrage. Hier entstehen Barrieren wie etwa Scham und Tabuisierung, mit denen ältere Menschen beim Eingehen neuer Beziehungen konfrontiert werden. Besonders ältere Frauen stehen häufig im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Angst vor erneuten Pflichten, welche aus traditionellen Rollenmustern entstehen. Insgesamt kann das Eingehen einer neuen Beziehung im Alter als Phase der Möglichkeiten und Ressourcen verstanden werden, sowie als wichtiger Schutzfaktor gegen steigende Einsamkeit. Um diese Entwicklungen nachhaltig zu fördern, sind weitere Forschung und Aufklärung notwendig, die älteren Menschen den Zugang zu erfüllenden Partnerschaften erleichtern.

Zum Weiterlesen

  • Bildtgård, T., & Öberg, P. (2015). Time as a structuring condition behind new intimate relationships in later life. Ageing & Society, 35(7), 1505-1528.
  • Moore, T. J., & Sailor, J. L. (2018). A phenomenological study of romantic love for women in late life. Journal of Women & Aging, 30(2), 111-126.
  • Neff, L. A., & Beer, J. S. (2025). Dating in Later Life: Do the Advantages of Age Depend on the Relational Context? Personality and Social Psychology Bulletin, 0(0). https://doi.org/10.1177/01461672251332763
  • Osmani, N., Matlabi, H., & Rezaei, M. (2018). Barriers to remarriage among older People: Viewpoints of widows and widowers. Journal of Divorce & Remarriage, 59(1), 51-68.

Referenzen

  • Bildtgård, T., & Öberg, P. (2015). Time as a structuring condition behind new intimate relationships in later life. Ageing & Society, 35(7), 1505–1528.
  • Carstensen, L. L. (2006). The influence of a sense of time on human development. Science, 312(5782), 1913–1915.
  • Davidson, K. (2001). Late life widowhood, selfishness and new partnership choices: A gendered perspective. Ageing & Society, 21(3), 297–317.
  • Fileborn, B., Thorpe, R., Hawkes, G., Minichiello, V., Pitts, M., & Dune, T. (2015). Sex, desire and pleasure: Considering the experiences of older Australian women. Sexual and Relationship Therapy, 30(1), 117–130.
  • Gow, A. J., Pattie, A., Whiteman, M. C., Whalley, L. J., & Deary, I. J. (2007). Social support and successful aging: Investigating the relationships between lifetime cognitive change and life satisfaction. Journal of Individual Differences, 28(3), 103–115.
  • Grau, L., & Susser, I. (1989). Women in the later years: Health, social, and cultural perspectives. (No title).
  • Honigh-de Vlaming, R., Haveman-Nies, A., Heinrich, J., van ’t Veer, P., & de Groot, L. C. (2013). Effect evaluation of a two-year complex intervention to reduce loneliness in non-institutionalised elderly Dutch people. BMC Public Health, 13(1), 984.
  • Laslett, P. (1991). A fresh map of life: The emergence of the third age. Harvard University Press. 
  • Laumann, E. O., Paik, A., Glasser, D. B., Kang, J. H., Wang, T., Levinson, B., ... & Gingell, C. (2006). A cross-national study of subjective sexual well-being among older women and men: Findings from the Global Study of Sexual Attitudes and Behaviors. Archives of Sexual Behavior, 35(2), 143–159.
  • Moore, T. J., & Sailor, J. L. (2018). A phenomenological study of romantic love for women in late life. Journal of Women & Aging, 30(2), 111–126.
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  • Pinquart, M., & Sörensen, S. (2001). Influences on loneliness in older adults: A meta-analysis. Basic and Applied Social Psychology, 23(4), 245–266.
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  • Thomas, H. N., Hess, R., & Thurston, R. C. (2015). Correlates of sexual activity and satisfaction in midlife and older women. The Annals of Family Medicine, 13(4), 336–342.
  • U.S. Department of Health and Human Services. (2015). A profile of older Americans: 2015. Retrieved from https://aoa.acl.gov/Aging_Statistics/Profile/2015/docs/2015-Profile.pdf