Der Begriff Doomscrolling wurde im Zuge der Covid-19-Pandemie populär und beschreibt die übermässige Nutzung von Newsfeeds in den sozialen Medien, wobei Nutzende sich primär auf negative Information fokussieren (Sharma et al., 2022). Dieses Verhalten, welches ursprünglich der Informationsgewinnung dient, kann sich allerdings über die Zeit zu einer automatisierten und unbewussten Handlung mit negativen Konsequenzen entwickeln (Güme, 2024).
V ermutlich kennen es viele von sich selbst – bevor man schlafen geht, möchte man noch kurz durch die sozialen Medien scrollen, um auf dem neusten Stand zu sein. Dabei vergisst man oft die Zeit und erwischt sich dabei, wie man länger als gewollt auf der Plattform verweilt. Wirklich gut fühlt man sich danach auch nicht, eher ist man erschlagen und ängstlich von den vielen negativen Schlagzeilen. Dieses Phänomen wird mit dem Begriff Doomscrolling beschrieben. Insbesondere bei global wichtigen Themen wie Umweltkatastrophen, Kriegen, sozialen Ungerechtigkeiten und Epidemien möchten sich Individuen Informationen verschaffen, um das Geschehen zu verstehen und Kontrolle über deren Auswirkungen zu haben (Koselioren & Cakir, 2024). Denn gerade diese Themen, die grosse Unsicherheit auslösen, führen dazu, dass Individuen bei unkontrollierbaren und unangenehmen Gedanken haften bleiben (Satici et al., 2023). Doomscrolling dient als Strategie, um diese Gedanken abzuschwächen und das Gefühl der Kontrolle wiederzuerlangen, indem neue Informationen gesammelt werden (Satici et al., 2023). Allerdings werden die Nutzenden durch Doomscrolling noch mehr negativen Nachrichten ausgesetzt, was dazu führt, dass Betroffene stundenlang soziale Medien nutzen, um Informationen zu gewinnen (Satici et al., 2023). Dieses verzweifelte Suchen nach positiveren Informationen endet schliesslich in einem Teufelskreis, der zu noch grösserer Unsicherheit und Ängstlichkeit führt (Güme, 2024).
Wort des Jahres
Der Oxford English Dictionary hat den Begriff Doomscrolling als eines der Wörter des Jahres 2020 gekürt (Oxford Languages, 2020).
Verstärkende Mechanismen
Die zuvor beschriebene Suche nach neuen Informationen in Verbindung mit der Tatsache, dass mehrheitlich negative Nachrichten angezeigt werden, führt bei den Nutzenden jedoch dazu, dass ihnen bewusst wird, dass ihnen wichtige Informationen fehlen, was das Doomscrolling verstärkt (Koselioren & Cakir, 2024). Eine Erklärung dafür kann die Negativitätsverzerrung sein. Diese beschreibt den Umstand, dass negative Informationen die Aufmerksamkeit stärker auf sich lenken als positive Informationen (Shabahang et al., 2023). Diese Negativitätsverzerrung hat vermutlich eine evolutionäre Funktion, indem die Aufmerksamkeit auf potenziell Gefährliches gelenkt wird, um das Individuum zu schützen (Shabahang et al., 2023). Allerdings verstärkt diese Verzerrung die Ängstlichkeit und Unisicherheit und damit auch das Doomscrolling (Kaye & Johnson, 2024).
Persönlichkeitseigenschaften
Die Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus beschreibt die emotionale Stabilität, Beharrlichkeit und Zielgerichtetheit der Intensität und Kontrolle emotionaler Reaktionen (Häcker, 2021a). Sensationssuchen beschreibt das Bedürfnis von Personen nach abwechslungsreichen, neuen und komplexen Eindrücken. Zudem drückt es die Bereitschaft aus, physische und soziale Risiken in Kauf zu nehmen, um solche Eindrücke zu generieren (Häcker, 2021b). Zynismus beschreibt eine verächtliche, destruktiv-skeptische Grundhaltung gegenüber der Welt, der Gesellschaft und ihren Werten (Preiser & Beierlein, 2021).
Zudem sind auch die sozialen Medien ein Teil des Problems. So sind diese in den vergangenen Jahren ein immer wichtigeres Instrument geworden, um sich über aktuelles Weltgeschehen zu informieren (Koselioren & Cakir, 2024). Da soziale Medien aktueller sind und individueller auf das Individuum angepasst sind, gestaltet sich die Informationssuche über soziale Medien für die Nutzenden einfacher als über traditionelle Nachrichtenportale (Koselioren & Cakir, 2024). Jedoch verstärken Mechanismen der sozialen Medien das Doomscrolling. So nutzen die Plattformen meistens Algorithmen, welche bemerken, dass die Nutzungsdauer erhöht werden kann, wenn Personen negative Nachrichten vorgeschlagen werden. Ebenfalls besitzen viele soziale Medien sogenannte Endlos-Funktionen, wobei man praktisch endlos nach unten scrollen kann. Dies führt auch dazu, dass es kein natürliches Ende findet (Güme, 2024). Zudem gibt es Persönlichkeitseigenschaften, welche das Doomscrolling verstärken können (Sharma et al., 2022). So zeigen beispielsweise Personen, welche hohe Ausprägungen in Neurotizismus, Zynismus und Sensationssuchen haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit für Doomscrolling-Verhalten (Sharma et al., 2022).

Individuelle Auswirkungen von Doomscrolling
Mehrere Studien zeigen, dass Doomscrolling eine negative Auswirkung auf die psychische Gesundheit hat (Güme, 2024). Negative Nachrichten oder Informationen können Angstzustände und depressive Stimmung verstärken, zudem können bestehende psychische Störungen verstärkt werden (Güme, 2024). Beispielsweise fanden Satici et al. (2023) in einer türkischen Stichprobe, einen negativen Zusammenhang von Doomscrolling mit der Lebenszufriedenheit und dem mentalen Wohlergehen, zudem war Doomscrolling positiv mit psychologischem Stress assoziiert. Ebenfalls scheint es so, dass Nutzende sich der negativen Auswirkungen bewusst sind. So geben 28 Prozent der weltweiten Nutzenden von Nachrichten an, dass sie weniger negative Nachrichten sehen wollen und ein Drittel gibt an, sich von toxischen Inhalten distanzieren zu wollen (Newman, 2023). Da sich viele Betroffene der negativen Auswirkungen bewusst sind, ihr Verhalten allerdings nicht ändern können, sehen einige Forschende Doomscrolling als potenziell süchtig machend (Shabahang et al., 2023).
Der Konsum von negativen Nachrichten kann den individuellen Zugang zu Nachrichten verändern (Güme, 2024). So zeigt sich beispielsweise weltweit ein Rückgang des Interesses an Nachrichten von 63 Prozent im Jahr 2017 auf 48 Prozent im Jahr 2023 (Newman, 2023). Diese Abwendung von den Medien kann als Bewältigungsstrategie verstanden werden, um die negativen Auswirkungen von Doomscrolling zu reduzieren (Koselioren & Cakir, 2024).
«When individuals experience adverse effects on their mental health due to stressful circumstances, they may find it necessary to comprehend and investigate the crisis they are experiencing. Presently, this requirement can be fulfilled by engaging in research and reading news through social media, transitioning from one news item to another.»
Tipps im Umgang mit Doomscrolling
Der Hauptfokus im Umgang mit Doomscrolling liegt in der Reduktion der Nutzung des Internets und der sozialen Medien (Güme, 2024). Zudem kann ein gesunder Umgang mit Mediennutzung zu einer digitalen Hygiene und einem bewussteren Konsum von Nachrichten führen (Güme, 2024). Konkret kann Betroffenen die Einschränkung des Konsums von Nachrichten helfen, beispielsweise dadurch, dass Apps auf dem Smartphone von der Startseite oder gar komplett entfernt werden. Weniger radikale Massnahmen können das Deaktivieren von Push-Benachrichtigungen, das Setzen von Grenzen für die App-Nutzungsdauer und das Entfolgen von Nachrichtenseiten in den sozialen Medien darstellen (Güme, 2024). Um eine bessere Balance zwischen negativen und positiven Nachrichten zu kreieren, kann es für Betroffene sinnvoll sein, vermehrt und bewusst positive Nachrichten zu konsumieren (Güme, 2024).