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Gastbeiträge

Hinschauen im Gespräch

Der Umgang mit körpersprachlichen Signalen im Gespräch
Bilder: Ida Baumgardt

Beim präzisen Beobachten der Körpersprache erhalten wir laufend wertvolle Hinweise, wie sich unser*e Gesprächspartner*in fühlt. Positiv konnotierte körpersprachliche Signale zeigen mir an, dass die Person sich wohlfühlt, entspannt und «bei sich» ist. Wie kann ich Körpersprache besser lesen und im Gespräch nutzen?

Über den Autor

Dr. med Daniel Bindernagel ist Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeut FMH und Autor.

K örpersprache umfasst ein weites Feld von körperlichen Ausdrucksformen. Sie ist komplex und mehrdeutig (Kykyri et al., 2024). Sie kann ein Fenster zur Innenwelt sein. Sie ist Ausdruck unbewusster Prozesse. Wir können versuchen, sie zu kontrollieren, z.  B. durch Unterdrückung oder Verstärkung unseres Körperausdrucks. Dies wird uns allerdings nur teilweise gelingen. Denn Körpersprache ist und bleibt immer auch unwillkürlicher Ausdruck unserer inneren Haltungen, Gefühle und uns in diesem Moment nicht bewusster Regungen. Schauen wir im Gespräch mit einem wohlwollenden und offenen Blick auf die körpersprachlichen Signale unseres Gegenübers, können sie als wichtige Orientierungshilfe im Gespräch dienen. Die methodische und konsequente Ausrichtung an positiv konnotierten Signalen ermöglicht es, Vertrauen aufzubauen und dem oder der Gesprächspartner*in einen Zugang zu sich selbst zu öffnen. Interpersonelle Synchronie wurde mit positiven Auswirkungen auf soziale Interaktion in Zusammenhang gebracht. Sie verstärke prosoziales Verhalten, Bonding und positive Affekte (Mogan et al., 2017). In einer besonderen Form der Gesprächsführung – der Idiolektik – wird der Körpersprache und der Eigensprache eine zentrale Bedeutung zugeschrieben (www.idiolektik.de).

Was ist idiolektische Gesprächsführung?

Die idiolektische Gesprächsführung stammt aus der Psychotherapie und wurde von Adolphe David Jonas (Jonas, 1981) von einem psychoanalytischen Ansatz ausgehend entwickelt. Sie wurde über die folgenden 40 Jahre weiterentwickelt und auf andere Berufsfelder, in denen das Gespräch eine wichtige Quelle für authentische Informationen ist und zum Vertrauensaufbau dient, übertragen (Bindernagel et al., 2010; Bindernagel, 2016). Meine letzte Veröffentlichung zu diesem Thema, Ich höre dir zu: Gute Gespräche im Alltag (Bindernagel, 2023), ist ein Versuch, Grundelemente dieser Gesprächsführung auf Alltagssituationen zu übertragen. Der Begriff Idiolekt kommt aus der Linguistik und bezeichnet die ganz individuelle Sprachverwendung inklusive Wortwahl, Grammatik, Sprachklang und eben auch Körpersprache. Es gibt eine Muttersprache, einen Dialekt und einen Idiolekt. Man kann dieses sprachliche Phänomen mit dem Fingerabdruck vergleichen. Der ist einzigartig und unverwechselbar. Wir gehen davon aus, dass es auch eine nonverbale Eigensprache gibt, die sich vom ersten Lebenstag, vermutlich sogar vorgeburtlich, entwickelt und bis ans Lebensende weiterentwickelt. In diesem Punkt unterscheidet sich der Ansatz von anderen, die körpersprachlichen Signalen eindeutige Interpretationen zuschreiben. Das entspricht nicht meiner Erfahrung und wird auch in der Forschung (Ramseier & Tschacher, 2014) bestritten. Auf die Methode der Idiolektik mit seinen zentralen Elementen der Schlüsselworte, der bildhaften Sprache, der Resonanz und der Paralogik kann in diesem Artikel nur verwiesen werden. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem «Hinschauen» auf die Körpersprache und weniger auf dem «Hinhören» im Gespräch gehen.

Dr. med. Daniel Bindernagel
Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie FMH

Was gibt es für körpersprachliche Elemente?

Zu den körpersprachlichen Signalen gehören Gestik, Mimik inklusive Lachen und Weinen, Blickverhalten und Bewegung von Körperteilen, bei letzterem v.  a. Kopfbewegungen, Ausrichtung des Oberkörpers und Stellung der Beine. Aber auch physiologische Parameter wie Herzfrequenz und deren Varianz, Hautwiderstand und Atmung gehören zum Arsenal der körpersprachlichen Signale. Sowohl in der frühen Eltern-Kind-Interaktion als auch in der Psychotherapieforschung spielt der Begriff der Synchronie der Interaktionspartner eine zentrale Rolle. Das Baby und seine Eltern interagieren beide feinfühlig. Dazu gehören Timing, Rhythmus, Pausen, Turn-Taking und Wechselseitigkeit. Diese verschiedenen Aspekte von Synchronie führen einfach ausgedrückt zu einem feinfühligen «Hin und Her» und damit zu einer Affektabstimmung. Das Baby wird einerseits angemessen stimuliert und anderseits bei Übererregung und Unruhe beruhigt. Beobachte ich ein in dieser Weise interagierendes Eltern-Kind-Paar, wird die komplette Palette körpersprachlicher Kommunikation anschaulich und sichtbar. Das gegenseitige «Verstehen» nicht in einem lexikalischen, sondern in einem leiblich-emotionalen Sinn wird offensichtlich. Fühlt sich das Baby in diesem Sinn verstanden, beruhigt es sich und fühlt sich wohl. Genau diesen Vorgang könnten wir auf Kommunikation unter Erwachsenen übertragen und damit den körpersprachlichen Signalen mindestens die gleiche Bedeutung geben wie den Inhalten der Worte.

In der Psychotherapieforschung wird grundsätzlich zwischen physiologischer Synchronie und Bewegungssynchronie unterschieden. Mit physiologischer Synchronie wird die Abstimmung von vegetativen Parametern wie Herzfrequenz und deren Varianz, Atemrhythmus, Hautwiderstand etc. beschrieben. Mit Bewegungssynchronie ist die Abstimmung von Bewegungen gemeint. Dazu zählen alle Körperbewegungen, v.  a. Kopf, Rumpf, Arme (Gestik), Beine, Gesicht (Mimik) und Augen. Eine hohe Synchronie ist mit einem intensiven emotionalen Prozessieren, mit einer positiven therapeutischen Allianz und einem besseren Outcome verbunden (Ramseier & Tschacher, 2011). Sogar in Alltagsinteraktionen konnte eine erfolgreichere Kooperation bei ausgeprägter Synchronie nachgewiesen werden (Behrens et al., 2020). Man kann Synchronie operationalisieren und messen. In einem therapeutischen Gespräch ist die Signaldichte jedoch so hoch und die Bereiche der verschiedenen Signale so vielseitig und komplex, dass eine bewusste Analyse ohne weitere technische Hilfsmittel und eine rein rationale Berücksichtigung der körpersprachlichen Signale nicht möglich ist.

Abb 1: Entwicklung von Wissensstrukturen, Bindernagel et al. (2010)

Wie entwickelt sich Sprache und warum ist Körper und Sprache wechselseitig eingebettet?

Um aufzuzeigen, dass einerseits der Körper in der Sprache und andererseits die Sprache im Körper eingebettet ist, bedarf es eines kurzen Ausfluges in die Entwicklungspsychologie. Wir können zwei Wissensstrukturen voneinander unterscheiden: implizites und explizites Wissen (siehe Abbildung 1). Implizites Wissen besteht zuerst einmal aus sinnlicher Erfahrung und motorischen Antworten und baut sich auf Bindungserfahrungen zu den primären Bezugspersonen auf. Es ist also Beziehungswissen. Unsere vorsprachliche Kommunikation erfolgt über den Klang unserer Stimme und unseren Körper. Schon hier wird klar, dass Sprache und Körper früh und tief miteinander wechselseitig verbunden sind. Sprache ist embodied. Implizites Wissen kann nicht in Worte gefasst werden. Es ist also nonverbal. Im impliziten Wissen gibt es keine semantische und symbolische Bedeutungsebene und kein Zeiterleben. Explizites Wissen ist verbal, deklarativ, kausal, semantisch und symbolisch. Dieses Wissen ist potenziell bewusst, es kann abgerufen und in Sprache ausgedrückt, also explizit gemacht werden. Früher glaubte man, implizites Wissen sei ausschliesslich sensomotorisch. Heute weiss man, dass implizites Wissen viel umfangreicher ist. Es umfasst über das bisher Gesagte hinausgehend Affekt, Teilhaben am Erleben des Anderen und Erkennen von Intentionen. Es ist nuancenreicher und hat mehr Möglichkeiten als das gesamte Vokabular. Es bleibt das ganze Leben erhalten und differenziert sich weiter aus. Ich hoffe, dass bereits an dieser Stelle klar wird, dass wir über die Signale des Körpers einen Zugang zu diesem impliziten Wissen bekommen können. In der Abbildung wird modellhaft dargestellt, wie sich Begriffe über vier basale Repräsentationssysteme, nämlich Aktion, Bild, Symbol und Zeiterleben entwickeln. Diese vier Ebenen finden in idiolektischen Gesprächen eine Analogie im methodischen Vorgehen. Ich konzentriere mich hier in diesem Beitrag auf die erste, früheste und basalste Repräsentation: die Aktion.

Begriffe sind verdichtete Konzepte. Sie sind vergleichbar mit Handlungsschablonen, mit denen die Welt erkundet werden kann. Sie sind gleichzeitig Modelle der Wirklichkeit. Sie ermöglichen Antizipation der Welt. Das Kind konstruiert seine Begriffe subjektiv in der Interaktion mit den primären Bezugspersonen. Später bekommen Begriffe zunehmend abstraktere Merkmale. Es ist aber davon auszugehen, dass in jedem Begriff, sei er auch noch so abstrakt, eine ursprüngliche, durch subjektive Erfahrung entstandene Matrix enthalten ist. Das ist die Tiefendimension der Eigensprache. Bei der aktionalen Repräsentationsform werden kinästhetische Erfahrungen, d.  h. die Bewegung betreffende Empfindungen, gespeichert. Die aktionale Repräsentationsform dient als erstes inneres Bezugssystem für eigene Handlungen. Die begriffliche Vorstellung von Objekten ist ausschließlich durch die an ihnen vorgenommenen Handlungen definiert. Der kindliche Begriff ist hier noch im wahrsten Sinne des Wortes das Ergebnis des Begreifens. Das erste Medium des Denkens ist damit die Aktion. Die idiolektische Methode versucht, der aktionalen Repräsentationsformen durch die Art des Nachfragens und des Aufgreifens positiv konnotierter Körpersignale besondere Beachtung zu schenken und dem Gegenüber diese meist im impliziten Wissen liegenden Bereiche zugänglicher zu machen. So kann implizites Wissen aktiviert werden und somit neue Verknüpfungen zwischen Sprache und Körper entstehen. Ein Erlebnis, über das in dieser Weise gesprochen wird, kann dann anders «gespürt» oder erlebt werden.

Warum lohnt es sich, auf Körpersprache zu achten?

Es lohnt sich, auf Körpersprache zu achten, weil wir damit unsere Kommunikation bereichern können. Wir können effektiver kommunizieren, weil wir damit gegenseitiges Verständnis im oben ausgeführten Sinne fördern können. Besonders das Gefühl, emotional verstanden zu werden, können wir damit stärken. Mit einem wohlwollenden und offenen Blick auf die körpersprachlichen Signale unseres Gegenübers kann Körpersprache zu einer wichtigen Orientierungshilfe im Gespräch werden. Die methodische Ausrichtung an positiv konnotierten Signalen ermöglicht es, Vertrauen aufzubauen und dem oder der Gesprächspartner*in einen Zugang zu sich selbst insbesondere zu implizitem Wissen zu öffnen. Durch Schulung unserer Wahrnehmung, durch eine Kultivierung unserer Einstellungen und inneren Haltungen und schliesslich durch Übung können wir körpersprachliche Signale für eine gelingende Kommunikation nutzen. Soziale Interaktionen können so befriedigender gestaltet werden.

Wie kann ich Idiolektik kennenlernen?

  • Gespräch mit dem Autor (daniel.bindernagel@hin.ch)
  • Offener Idiolektik Übungsabend (St. Gallen, Zürich, Bern oder online)
  • Offene Seminare, Inhouse-Seminare, Kongresse, Ausbildungsmodule (https://idiolektik.de)
  • Literatur/Podcasts/Filme (https://idiolektik.de)
  • Jubiläumstagung: 40 Jahre Idiolektik 29.–31. Mai 2025 (https://idiolektik.de)

Wie kann ich lernen, besser auf Körpersprache einzugehen?

Hier ist zunächst der Begriff der Awareness zu nennen. Der erste Schritt ist, sich der Bedeutung der Körpersprache bewusst zu werden. Also zunächst einmal hinschauen und wahrnehmen. Der zweite Schritt im Rahmen der Awareness ist, sich seiner inneren Haltungen und Einstellungen bewusst zu werden. Welches Menschenbild habe ich, wenn ich ein Gespräch führe? Was unterstelle ich meinem Gegenüber? Kann ich ihm gute Gründe für sein Verhalten, seine Körpersprache und seine geäusserten Worte unterstellen? Möchte ich ihm etwas vermitteln und beibringen oder möchte ich ihm offen zuhören? Möchte ich meinen oder meine Gesprächspartner*in führen oder der Person die Führung überlassen?

Der dritte Schritt ist, den konkreten Umgang mit körpersprachlichen Signalen im Gespräch zu üben. Positiv konnotierte Körpersignale zeigen an, dass ich das Gespräch laufen lassen kann. Es gibt auch Interventionen, die positiv konnotierte Körpersignale aufgreifen und offene Fragen dazu stellen. Dies kann Gespräche vertiefen und Erkenntnisse fördern. Bei negativ konnotierten Körpersignalen kann ich nach einem Gegenteil oder nach einem anderen Thema fragen oder ich kann die Richtung im Gespräch vom Gesprächspartner neu bestimmen lassen. Diese Techniken brauchen Demonstration, Anleitung und vorteilsfreies Ausprobieren in einem gegenüber Fehlern und Feedback offenen Kontext.

Zum Weiterlesen

  • Bindernagel, D., Krüger, E., Rentel, T. & Winkler, P. (2010): Schlüsselworte:Idiolektische Gesprächsführung in Therapie, Beratung und Coaching. 4. Auflage. Carl Auer.
  • Bindernagel, D. (2016). Die Eigensprache der Kinder: Idiolektische Gesprächsführung mit Kindern, Jugendlichen und Eltern. Carl Auer.
  • Bindernagel, D. (2023). Ich höre dir zu: Gute Gespräche im Alltag. Carl Auer.

Referenzen

  • Behrens, F., Snijdewint, J. A., Moulder, R. G., Prochazkova, E., Sjak-Shie, E. E., Boker, S. M. & Kret, M. E. (2020). Physiological synchrony is associated with cooperative success in real-life interactions. Scientific Reports, 10(1). https://doi.org/10.1038/s41598-020-76539-8
  • Bindernagel, D., Krüger, E., Rentel, T. & Winkler, P. (2010): Schlüsselworte:Idiolektische Gesprächsführung in Therapie, Beratung und Coaching. 4. Auflage. Carl Auer.
  • Bindernagel, D. (2016). Die Eigensprache der Kinder: Idiolektische Gesprächsführung mit Kindern, Jugendlichen und Eltern. Carl Auer.
  • Bindernagel, D. (2023). Ich höre dir zu: Gute Gespräche im Alltag. Carl Auer.
  • Kykyri, V. L., Nyman-Salonen, P., Tschacher, W., Tourunen, A., Penttonen, M. & Seikkula, J. (2024): Exploring the role of emotions and conversation content in interpersonal synchrony: A case study of a couple therapysession. Psychotherapy-Research, 1–17. https://doi.org/10.1080/10503307.2024.2361432
  • Jonas, A. D. (1981). Kurzpsychotherapie in der Allgemeinmedizin: Das gezielte Interview (3. Aufl.). Huttenscher Verlag 507.
  • Mogan, R., Fischer, R. & Bulbulia, J. A. (2017). To be in synchrony or not? A meta-analysis of synchrony’s effects on behavior, perception, cognition and affect. Journal of Experimental Social Psychology, 72, 13–20. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2017.03.009
  • Ramseyer, F. & Tschacher, W. (2011). Nonverbal synchrony in psychotherapy: Coordinated body movement reflects relationship quality and outcome. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 79(3), 284–295. https://doi.org/10.1037/a0023419
  • Ramseyer, F. & Tschacher, W. (2014). Nonverbal synchrony of head- and body-movement in psychotherapy: Different signals have different associations with outcome. Frontiers in Psychology, 5.  https://doi.org/10.3389/fpsyg.2014.00979