Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Psychedelika erstaunliche Therapieerfolge nach sich ziehen können. Unklar ist, ob nur die chemische Struktur der Substanzen dafür verantwortlich ist, oder auch subjektive mystische Erfahrungen und Halluzinationen dazu beitragen.
E s ist gut möglich, dass Psychedelika die älteste Klasse psychopharmakologischer Wirkstoffe darstellen, die der Menschheit bekannt sind (Nicholas, 2016). Von dem im Jahr 1943 entdeckten LSD über die von Azteken als «Gottes Fleisch» bezeichneten Psilocybin-Pilze (Schultes et al., 1979) bis hin zu Proben von Peyote, die El-Seedi et al. (2005) auf 3780-3660 v. Chr. datieren konnten – die Substanzen, die heutzutage als «klassische Psychedelika» bezeichnet werden, sind schon seit Jahrtausenden Teil unserer Geschichte. Verstanden werden unter dem Begriff Psychedelika jene Substanzen, die verlässlich bewusstseinsverändernde Wirkungen auf Wahrnehmung, Kognition und Emotion ausüben (O’Brian, 2006). Noch frühere Versuche, die wunderliche Wirkung von Psychedelika sprachlich greifbar zu machen, lassen sich beispielsweise bei Freedman (1968) finden, der mit dem Begriff portentousness (Erstaunlichkeit) auf die Kapazität des Gehirns verweisen wollte, mehr zu sehen, als es sagen kann. Wohl zeigt der Name Psychedelika jedoch am besten, was man sich von diesen Substanzen in den Sechzigerjahren versprach. Geprägt wurde dieser nämlich von Osmond (1957) und setzt sich aus den griechischen Worten psyche (Seele) und delos (offenbar) zusammen. Somit soll also eine Offenbarung der Seele ausgedrückt werden.
Die Wirkung von Psychedelika
Angaben zu den Wirkungen, die man von einer Psychedelika-Einnahme erwarten kann, finden sich beispielsweise in der 5-Dimensional Altered States of Consciousness Skala (Dittrich et al., 2010). Diese nennt die folgenden fünf Faktoren: Oceanic Boundlessness, Dread of Ego Dissolution, Anxious Ego Dissolution, Visionary Restructuralization und Audio-Visual Synesthesia. Wie diese «Offenbarung der Seele» vonstattengeht, ist dabei eine emsig debattierte Frage.
Vergegenwärtigt man sich die chemische Struktur von klassischen Psychedelika wie LSD und jene von Serotonin, so ist leicht ersichtlich, weshalb ein Grossteil der Forschung zur Wirkung von Psychedelika um den 5-HT2A Rezeptor kursiert. Nichols (2016) argumentierte sogar: «[…] the whole field of serotonin neuroscience, and especially the role of serotonin in brain function, was catalyzed by the discovery of LSD!». Andererseits gilt es zu betonen, dass Studerus et al. (2012) 24 Prädiktorvariablen auf ihre Wichtigkeit für die Effekte von Psilocybin geprüft haben, wobei sich auch mehrere nicht-pharmakologische Faktoren als bedeutsam erwiesen haben, darunter beispielsweise Geschlecht, Persönlichkeitsmerkmale und das experimentelle Umfeld. Die Wirkung von Psychedelika einzig auf chemischer Ebene zu untersuchen, könnte also durchaus zu kurz greifen.
Bezüglich den nicht-pharmakologischen Faktoren wird gerade den visuellen Effekten von Psychedelika eine besondere Wirkung zugeschrieben. Turton et al. (2015) beschreiben beispielsweise, dass 14 von 15 Versuchspersonen perzeptuelle Veränderungen als Hauptkomponente der Psilocybinerfahrung angegeben haben. Die visuellen perzeptuellen Veränderungen unter Psychedelika-Einfluss umfassen dabei komplexe visuelle Halluzinationen von Bildern und Szenen sowie elementare Halluzinationen herkömmlicher Muster, Farben oder Lichtblitze (Kometer et al., 2013). De Araujo et al. (2011) spekulieren, dass die robusten Visionen unter Ayahuasca durch den primären visuellen Kortex initiiert werden, einem Hirnareal mit einer hohen Dichte an 5-HT2A Rezeptoren (Moreau et al., 2009; Watakabe et al., 2008).
«[...] MDMA-assisted therapy is highly efficacious in individuals with severe PTSD, and treatment is safe and well-tolerated [...]»
Erste Erfolge in der Psychotherapie
Spannend ist die wiederaufblühende Forschung zu Psychedelika aufgrund überwältigend positiver therapeutischer Ergebnisse in neueren Studien. Mitchell et al. (2021) beschreiben MDMA-assistierte Psychotherapie als «highly efficacious in individuals with severe PTSD» und erachten die Behandlung als «safe and well-tolerated». Psilocybin zeigt sich als vielversprechende Substanz in der Therapie von Alkoholismus (Bogenschutz et al., 2022) und Depressionen (Carrhart-Harris et al., 2012; Nutt, 2019), während neuere Studien aus der Schweiz die Verringerung von Angst- und Depressionssymptomen durch LSD-assistierte Psychotherapie in Patient*innen mit einer terminalen Krankheit nachweisen konnten (Holze et al., 2023).
Es bleibt ungeklärt, was genau den Therapieerfolg der psychedelischen Psychotherapie ausmacht. Besonders dreht sich die Diskussion um zwei Aspekte: Der eine Standpunkt besagt, dass die subjektive Erfahrung, die Menschen unter Einfluss von Psychedelika machen, ausschlaggebend für den Therapieerfolg sei. Aus der anderen Perspektive hingegen hätten Psychedelika eine pharmakologische Wirkung, welche unabhängig von Wahrnehmungsveränderungen zum Therapieerfolg führe.
Mystische Erfahrungen
Folgende Eigenschaften zeichnen mystische Erfahrungen aus: Ein Gefühl der Einheit mit allem, die Auflösung des Selbst, Gefühle der Bedeutsamkeit, Ehrfurcht, Ekstase und Freude, die Unbeschreibbarkeit des Erfahrenen und das Gefühl, dass Zeit und Raum keine Bedeutung mehr haben.
Die Rolle von Wahrnehmungsveränderungen
Für den ersten Standpunkt spricht, dass wiederholt gezeigt werden konnte, dass Personen, welche mystische Erfahrungen erleben, bessere Therapieerfolge zeigten. Nach einer mystischen Erfahrung fiel es Raucher*innen leichter, mit dem Rauchen aufzuhören (Garcia-Romeu, 2014), Krebspatient*innen hatten weniger Angst und Depressionen (Ross, 2016), depressive Personen zeigten grössere Therapieerfolge (Carhart-Harris et al., 2016) und Alkoholiker*innen konnten eher mit dem Trinken aufhören (Bogenschutz et al., 2015). Auch wenn diese Befunde für die Wichtigkeit der subjektiven Erfahrung sprechen, kann man aus diesen korrelativen Studien jedoch nicht darauf schliessen, dass die mystischen Erfahrungen tatsächlich den Therapieerfolg ausgelöst haben.
Top-Down-Verarbeitung
Top-down-Verarbeitung bezieht sich auf den Prozess der Informationsverarbeitung im Gehirn, bei dem höhere kognitive Prozesse und Erwartungen die Wahrnehmung und Interpretation sensorischer Signale beeinflussen. Es bedeutet, dass nicht nur die direkte Reizverarbeitung unsere Wahrnehmung beeinflussen kann, sondern dass auch unsere Vorstellungen, Erfahrungen und Erwartungen unsere Sichtweise prägen.
Manche Forschende argumentieren ausserdem, dass selbst die rein visuellen Wahrnehmungsveränderungen für den Therapieerfolg relevant sein könnten. Csaszar-Nagy (2019) hat die Theorie aufgestellt, dass unsere Ängste mit unserem visuellen System zusammenhängen würden. Die durch Psychedelika ausgelösten Veränderungen in unserer visuellen Wahrnehmung könnten helfen, unsere Ängste unbewusst zu verarbeiten (Csaszar-Nagy, 2019). Ein weiterer Ansatz von Aqil und Roseman (2023) besagt, dass die visuellen Wahrnehmungsveränderungen dazu führten, dass unsere top-down-Verarbeitung heruntergefahren wird. Dadurch könnte unsere Sicht auf die Welt und unser Selbst flexibler werden, was wiederum zu den Therapieerfolgen führen könnte (Aqil & Roseman, 2023).
Psychedelika – Nichts als Chemie?
Die zweite Position beruht darauf, dass gezeigt werden konnte, dass Psychedelika erhöhte Neuroplastizität auslösten (Ly et al., 2018). Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Hirns, sich anzupassen und zu verändern, wird oft mit Therapieerfolgen in Verbindung gebracht, da Depressionen, PTBS und Sucht zur Rückbildung der Neuronen im Präfrontalkortex führen (Ly et al., 2018). Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass die antidepressive Wirkung von Ketamin kausal durch erhöhte Neuroplastizität verursacht wird (Moda-Sava et al., 2019). Daher scheint es plausibel, dass die Neuroplastizität, die durch Psychedelika hervorgebracht wird, für den Therapieerfolg von Psychedelika verantwortlich ist.
Zwei Befunde sprechen dafür, dass es sich bei den Wahrnehmungsveränderungen, welche Psychedelika auslösen, um Epiphänomene handelt, also Nebenprodukte, welche nicht zur erwünschten Wirkung beitragen. Der erste Befund verweist darauf, dass R-Ketamin und MDMA (beides Substanzen, welche wenige bis keine visuellen Effekte und mystische Erfahrungen auslösen) effektiv in der Behandlung verschiedenster psychischer Störungen sind (Olson, 2021). Der zweite Befund ist, dass ein dem starken Psychedelikum DMT ähnlicher Wirkstoff (Tabernanthalog), welcher Neuroplastizität verstärkt, aber keine visuellen Effekte auslöst, trotzdem zu Erfolgen führt (Olson, 2021). Dieser Wirkstoff wurde aber bisher noch nicht an Menschen getestet. Sollte dieser Wirkstoff in klinischen Studien zu ähnlichen Therapieerfolgen führen wie klassische Psychedelika, wäre dies ein sehr starker Hinweis dafür, dass die subjektive Erfahrung von Psychedelika nicht notwendig für den Therapieerfolg ist. Die Frage, was genau den Therapieerfolg der Psychedelika auslöst, könnte erst durch eine solche Studie beantwortet werden. Dementsprechend sind die Erfolge in der Therapie klar ersichtlich, doch deren Erklärung bleibt vorerst noch umstritten.