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Alltag

Zu «viele» Entscheidungen?

Wenn Wahlmöglichkeiten unsere Entscheidungsfähigkeit schwächen und zur Belastung werden
Bilder: Lea Bächlin

Entscheidungsmüdigkeit, auch Decision Fatigue genannt, tritt auf, wenn wir viele Entscheidungen treffen müssen. Doch was steht eigentlich dahinter und welche Strategien können eingesetzt werden?

D as Treffen von Entscheidungen, selbst bei scheinbar trivialen Situationen wie der Auswahl zwischen Vanille- und Schokoladeneis, kann Menschen vor unerwartete Herausforderungen stellen. Besonders dann, wenn viele Entscheidungen getroffen werden müssen, kann dies zu einer Ermüdung führen. Dabei beeinflussen zum einen die Anzahl Möglichkeiten sowie die Anzahl zu treffenden Entscheidungen die Entscheidungsmüdigkeit. Dieses Phänomen wird in der Psychologie Decision Fatigue genannt. Der Begriff wurde erstmals von Roy F. Baumeister verwendet, um die mentale und emotionale Belastung zu beschreiben, die sich aus der Entscheidungsfindung ergibt (Baumeister, 2003).

Ein klassisches Beispiel für die Decision Fatigue ist das Marmeladen-Experiment von Iyengar und Lepper (2000). Die Studie untersuchte das Verhalten von Konsumenten in Bezug auf die Auswahl von Marmeladensorten. Im ersten Experiment wurde den Teilnehmenden sechs Marmeladensorten zur Auswahl gestellt. Etwa 40 Prozent der Kunden probierten die Marmeladen, und zwölf Prozent kauften ein Glas. Im zweiten Experiment, bei dem 24 Sorten angeboten wurden, probierten 60 Prozent der Kunden die Produkte, aber weniger als zwei Prozent tätigten einen Kauf. Die Vielfalt hatte zwar die Neugier geweckt, aber die Kunden zugleich entscheidungsunfähig gemacht (Iyengar & Lepper, 2000).

Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel liefert eine Studie von Danziger et al. (2011) zu Bewährungsentscheidungen in israelischen Gefängnissen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Bewährungsgewährung stark vom Zeitpunkt der Anhörung abhing. Während Häftlinge, die früh am Morgen vor den Bewährungsausschuss traten, in etwa 70 Prozent der Fälle entlassen wurden, sank die Wahrscheinlichkeit im Laufe des Tages auf weniger als zehn Prozent. Dieser Effekt konnte nicht auf Unterschiede in den Vergehen oder Haftstrafen der Gefangenen zurückgeführt werden. Vielmehr zeigte die Studie, dass die Erschöpfung der Richter durch stundenlanges Treffen von Entscheidungen eine entscheidende Rolle spielte. Um kognitive Anstrengung zu minimieren, tendierten die Richter dazu, den Status quo beizubehalten und die Bewährung abzulehnen (Danziger et al., 2011).

Konsequenzen und Optionen

Je mehr Entscheidungen wir über den Tag hinweg treffen, desto stärker wird unser Gehirn beansprucht. Irgendwann sucht es nach Abkürzungen, was sich in zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen äussern kann: Entweder vermeiden wir Entscheidungen aus Angst vor Fehlern und behalten den Status quo bei – wie in den oben genannten Beispielen – oder wir handeln impulsiver und treffen Entscheidungen, ohne sie ausreichend zu durchdenken (Tierney, 2011). Studien zeigen, dass wir bei einer Vielzahl aufeinanderfolgender Entscheidungen dazu neigen, die späteren mit weniger Sorgfalt zu behandeln. So akzeptierten beispielweise Konsumenten bei späteren Fragen eher die Standardoption, selbst wenn diese teurer war (Levav et al., 2010).

Um Entscheidungsmüdigkeit zu vermeiden, kann auf Strategien zurückgegriffen werden, welche die Anzahl der täglichen Entscheidungen reduzieren. Auch das Etablieren von Routinen kann helfen, die Zahl notwendiger Entscheidungen zu reduzieren. Darüber hinaus ist es ratsam, wichtige Entscheidungen möglichst früh am Tag zu treffen, wenn die kognitiven Ressourcen noch am höchsten sind (Pignatiello et al., 2020). Und um bei der Eissorte zu bleiben: Wer sich regelmässig für eine bevorzugte Sorte entscheidet oder zwischen wenigen Optionen variiert, kann die mentale Belastung verringern und seine Energie für andere, komplexere Entscheidungen bewahren.

Zum Weiterlesen

Referenzen

  • Baumeister, R. F. (2003). The Psychology of Irrationality. In I. Brocas & J. D. Carrillo (Hrsg.), The Psychology of Economic Decisions: Rationality and well-being (Vol. 1, S. 1–15). OUP Oxford. ISBN 978-0-19-925108-7. 
  • Danziger, S., Levav, J., & Avnaim-Pesso, L. (2011). Extraneous factors in judicial decisions_. Proceedings of the National Academy of Sciences_, 108(17), 6889–6892. https://doi.org/10.1073/pnas.1018033108 
  • Iyengar, S. S., & Lepper, M. R. (2000). When choice is demotivating: Can one desire too much of a good thing? Journal of Personality and Social Psychology, 79(6), 995–1006. https://doi.org/10.1037//0022-3514.79.6.995 
  • Levav, J., Heitmann, M., Herrmann, A., & Iyengar, S. S. (2010). Order in Product Customization Decisions: Evidence from Field Experiments. Journal of Political Economy, 118(2), 274–299. https://doi.org/10.1086/652463 
  • Pignatiello, G. A., Martin, R. J., & Hickman, R. L. (2020). Decision fatigue: A conceptual analysis. Journal of Health Psychology, 25(1), 123–135. https://doi.org/10.1177/1359105318763510 
  • Tierney, J. (2011, August 17). Do you suffer from decision fatigue? The New York Times. https://www.nytimes.com/2011/08/21/magazine/do-you-suffer-from-decision-fatigue.html