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Alltag

Das Babyface

Der Einfluss von kindlichen Gesichtszügen auf den Gerichtsprozess
Bilder: Yannick Staerk

Das äussere Erscheinungsbild und insbesondere das Gesicht von Menschen hat einen grossen Einfluss darauf, wie mani von anderen wahrgenommen und eingeschätzt werden. Das sogenannten Babyface-Phänomen beschreibt den Umstand, dass Personen mit eher kindlichen Gesichtszügen auch kindliche Verhaltensweisen nahegelegt werden. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich dieses Phänomen auf Gerichtsprozesse auswirkt.

W ann hast du dich das letzte Mal dabei ertappt, dass du jemand nur vom Sehen her sympathisch fandest? Wahrscheinlich noch gar nicht so lange. Denn insbesondere die Wahrnehmung des Gesichts hat einen grossen Einfluss auf den ersten Eindruck einer Person (McArthur, 1982). Dieser Umstand führt dazu, dass gewisse Gesichtszüge mit bestimmten Stereotypen in Verbindung gebracht werden (Berry & McArthur, 1985). Eines dieser Phänomene ist das sogenannte Babyface. Dieses charakterisiert sich durch grosse Augen, ein schmales Kinn und runde Gesichtszüge, ähnlich derer eines Säuglings (Berry & McArthur, 1985). Damit gehen gewisse Zuschreibungen von Charaktereigenschaften einher. So werden erwachsene Personen, die typischen Merkmale eines Babyfaces haben, als wärmer, ehrlicher, naiver und kindlicher wahrgenommen als Personen mit reiferen Gesichtszügen (Berry & McArthur, 1985). Auf eine klassische Studie von Berry & McArthur (1985) folgten weitere ähnliche Studien, welche den Effekt des Babyfaces bestätigen konnten (Zebrowitz & Montepare, 2008). Wichtig ist, hier nochmals darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um einen Stereotyp handelt. Das bedeutet: Menschen mit kindlichen Gesichtszügen haben nicht häufiger diese Charaktereigenschaften, sondern diese werden ihnen lediglich häufiger zugeschrieben (Zebrowitz & Montepare, 2008).

Einfluss eines Babyfaces auf Gerichtsurteile

Aufgrund dieser Zuschreibung von Eigenschaften und Verhaltensweisen stellten sich Berry und Zebrowitz-McArthur (1988) die Frage, ob das Phänomen einen Einfluss auf die Beurteilung von Personen, als schuldig oder unschuldig vor Gericht hat. Um dies zu überprüfen, untersuchten die Forschenden in einem simulierten Gericht, ob Personen mit Babyface seltener als schuldig eingestuft werden. Dabei kreierten sie verschiedene Szenarien. In einem Szenario begingen die Angeklagten eine Straftat aus Fahrlässigkeit, also unabsichtlich, und in den anderen Szenarien wurden die Taten als Absicht dargestellt. Dabei wurde variiert, ob den Versuchspersonen eine angeklagte Person mit oder ohne Babyface vorgelegt wurde.

Die Versuchspersonen haben Angeklagte mit einem Babyface, die eine Tat aus Fahrlässigkeit begingen, häufiger für schuldig empfunden als Personen mit erwachsenerem Gesicht. Allerdings wurden Personen mit einem kindlichen Gesicht bei fahrlässigen Straftaten geringere Strafen erteilt im Vergleich zu Personen mit kindlichem Gesicht, die eine Straftat absichtlich begingen. Ausserdem schlugen die Versuchspersonen vor, Straftäter mit Babyface geringer zu verurteilen als Personen mit erwachsenerem Gesicht, wenn die Straftat durch Fahrlässigkeit entstand. Berry und Zebrowitz-McArthur (1988) interpretieren dieses Resultat so, dass man Personen, die eine Straftat aus Naivität begehen, für weniger schuldig hält und deshalb das Strafmass lindert. Wenn jemand eine Straftat absichtlich beging und die angeklagte Person ein Babyface hatte, schlugen die Versuchspersonen allerdings im Vergleich zu Personen mit erwachsenerem Gesicht ein höheres Strafmass vor. Die beiden Autorinnen argumentieren, dass aus der Perspektive der Versuchspersonen die Personen mit kindlichen Gesichtszügen, welche absichtlich eine Straftat begingen, ihr unschuldiges Aussehen ausnutzen würden, um eine Straftat zu begehen – und daher ein höheres Strafmass als angemessener angesehen wird.

Wie erwähnt stammen diese Ergebnisse lediglich aus einem simulierten Gerichtsprozess. Nichtsdestotrotz ist das Ergebnis erschreckend, wenn man bedenkt, dass in der Justiz möglichst objektiv und sachlich gearbeitet werden soll und ein Urteil möglichst nicht von äusseren Faktoren beeinflusst werden soll. Um die Existenz des Effekts in einer realen Umgebung zu überprüfen, haben sich Zebrowitz und McDonald (1991) mehr als 500 Fälle vor dem Bagatellgericht in Massachusetts angeschaut. Dabei fanden die Forschenden die gleichen Effekte wie in der zuvor erwähnten Studie von Berry und Zebrowitz-McArthur (1988). Angeklagte mit einem Babyface erlangten häufiger Urteile zu ihren Gunsten, wenn die begangene Straftat als absichtlich wahrgenommen wurde; und eher zu ihren Missgunsten, wenn sie aus Fahrlässigkeit begangen wurde. Zudem fanden sie einen weiteren Effekt: nämlich, dass Angeklagte mit Babyface im Vergleich zu Personen mit erwachsenerem Gesicht seltener den Fall verloren. Das Gesicht von klagenden Personen hatte allerdings keine Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit, einen Gerichtsprozess zu ihren Gunsten zu entscheiden.

«Extant theory suggests that judges often make punishment determinations under time and information constraints. This leads them to use cognitive heuristics, or decision-making shortcuts, that encourage reliance on experience and criminal stereotypes to help streamline punishment decisions.»

Johnson & King, 201, S. 522

Weitere Stereotype aufgrund von Merkmalen des Gesichts

Neben dem beschriebenen Babyface-Phänomen gibt es noch weitere wichtige äussere Merkmale, welche Gerichtsurteile beeinflussen. So werden beispielsweise Personen, die als physisch attraktiv wahrgenommen werden, seltener verurteilt, aber Personen, die ein Gesichtstattoo tragen, häufiger (Johnson & King, 2017). Daneben sind auch angeklagte Personen mit einer anderen Ethnizität als die der Mehrheitsgesellschaft von solchen Stereotypen betroffen und werden auch häufiger verurteilt. (Johnson & King, 2017).

Anhand dieser Studien sollte klar geworden sein, dass das äusserliche Erscheinungsbild auch vor Gericht eine wichtige Rolle für die richterliche Entscheidung hat. Eine gängige Erklärung für die verbreitete Nutzung von Stereotypen ist, dass dies aus evolutionärer Sicht nützlich war, um auf den ersten Blick anhand von Gesichtszügen und -ausdrücken Absichten und Emotionen abzulesen und daraufhin schnelle Entscheidungen zu treffen (Johnson & King, 2017). So auch beispielsweise, um eine Person zu schützen, wenn ihr Gesicht kindliche Züge aufweist (Berry & McArthur, 1985). Dies ist in unserer Umwelt aber nicht mehr wirklich nötig und hat wie diese Studien und andere Verhaltensweisen aufgrund von Stereotypen, wie Diskriminierung und Rassismus, schädliche Konsequenzen. Hinzu kommt, dass insbesondere Richter*innen häufig unter Zeitdruck stehen, nur über wenige Informationen verfügen und trotzdem eine Entscheidung fällen müssen. Diese Umstände führen dazu, dass Richter*innen dazu oftmals Stereotype und andere Faustregeln, sogenannte Heuristiken, verwenden (Johnson & King, 2017). Um diese Probleme zumindest teilweise umgehen zu können, schlagen Zebrowitz und McDonald (1991) vor, Richter*innen über solche Phänomene aufzuklären, damit gewillte Personen dagegensteuern können.

Zum Weiterlesen

  • Johnson, B. D., & King, R. D. (2017). Facial Profiling: Race, Physical Appearance, and Punishment. Criminology, 55(3), 520–547. https://doi.org/10.1111/1745-9125.12143
  • Zebrowitz, L. A., & McDonald, S. M. (1991). The impact of litigants’ baby-facedness and attractiveness on adjudications in small claims courts. Law and Human Behavior, 15(6), 603–623. https://doi.org/10.1007/BF01065855

Referenzen

  • Berry, D. S., & McArthur, L. Z. (1985). Some components and consequences of a babyface. Journal of Personality and Social Psychology, 48(2), 312–323. https://doi.org/10.1037/0022-3514.48.2.312
  • Berry, D. S., & Zebrowitz-McArthur, L. (1988). What’s in a Face?: Facial Maturity and the Attribution of Legal Responsibility. Personality and Social Psychology Bulletin, 14(1), 23–33. https://doi.org/10.1177/0146167288141003
  • Johnson, B. D., & King, R. D. (2017). Facial Profiling: Race, Physical Appearance, and Punishment. Criminology, 55(3), 520–547. https://doi.org/10.1111/1745-9125.12143
  • McArthur, L. Z. (1982). Judging a book by its cover: A cognitive analysis of the relationship between physical apperance and stereotyping. In Cognitive social Psychology (S. 149–211). Elsevier-North Holland.
  • Zebrowitz, L. A., & McDonald, S. M. (1991). The impact of litigants’ baby-facedness and attractiveness on adjudications in small claims courts. Law and Human Behavior, 15(6), 603–623. https://doi.org/10.1007/BF01065855
  • Zebrowitz, L. A., & Montepare, J. M. (2008). Social Psychological Face Perception: Why Appearance Matters. Social and Personality Psychology Compass, 2(3), 1497–1517. https://doi.org/10.1111/j.1751-9004.2008.00109.x