Die Forschung hat Modelle entwickelt, um Entscheidungen rational zu erklären, aber der Mensch scheint sich nicht immer an die Theorie zu halten. Entscheidungen variieren je nach Kontext, verfügbaren Informationen und Alternativen. Erschwerend kommt hinzu, dass Emotionen Entscheidungen «irrational» machen können.
H eutzutage sind die Möglichkeiten der Produktauswahl nahezu unendlich. Man denke nur an die Hunderte von Fernsehkanälen, die vielen Online-Shops mit Kleidung in allen Modellen und Farben und das Unterhaltungsangebot an Filmen und Musik. Worauf haben Sie heute Abend Appetit? Durch eine einfache Internetsuche kann man von der vietnamesischen Küche bis hin zur klassischen neapolitanischen Pizza alle möglichen Speisen bestellen. Die Auswahl ist vielfältig, aber wie entscheidet man sich?
Der Prozess der Entscheidung
In der entscheidungspsychologischen Forschung werden hauptsächlich Experimente zu Geldwertentscheidungen durchgeführt. Würden Sie lieber diese oder jene Belohnung erhalten? Dieses Thema war schon vor 50 Jahren faszinierend. 1976 entwickelten Keeney und Raiffa ein Modell, das auch heute noch gültig ist: die Multi-Attribute Utility Theory (MAUT). Es handelt sich um ein Modell, das bei der Entscheidungsfindung insbesondere zwischen Alternativen mit mehreren Variablen (Multi-Attribute) hilft, z. B. wenn Kriterien wie Preis, Komfort und Sicherheit eine Rolle spielen. Die MAUT identifiziert die zu berücksichtigenden Dimensionen und weist ihnen ein Gewicht, also eine Relevanz für die zu treffende Entscheidung zu (Utility). Auf diese Weise werden die Attribute integriert und für jede Alternative eine Gesamtnote vergeben, die zu einer entsprechenden Wahl führt. Obwohl das Modell versucht, objektiv zu erklären, was die «beste» Entscheidung ist, entscheiden sich die Menschen oft widersprüchlich (Shafir & LeBoeuf, 2004). Wie kommt das?
Neuropsychologie der Entscheidung
Mit dem Aufkommen neuer Technologien zur Messung der neuronalen Aktivität wurde das Gehirn auch während dem Entscheidungsprozess beobachtet. Hirnaktivität zeigte sich dabei vor allem im orbitofrontalen Kortex (wichtig bei kognitiven Prozessen), dem Striatum (koordiniert Motorik, Handlungsplanung und Motivation), dem Präfrontalkortex (verarbeitet Risiken und reguliert emotionale Reaktionen) und dem anterioren cingulären Kortex (zuständig für Lernprozesse und Belohnung). Interessanterweise sind diese Bereiche sowohl bei der Regulation potenzieller Gewinne als auch bei der Verarbeitung potenzieller Verluste involviert (Tom et al., 2007). Was Verluste von Gewinnen unterscheidet, ist die Aktivität in den Gebieten: Bei Verlust nimmt die Aktivität ab, während sie bei Gewinnen zunimmt (Tom et al., 2007).
Kontexteffekte
Ein Grund für die Inkonsistenz von Entscheidungen kann der Kontext sein, in dem die Optionen präsentiert werden (Prelec et al., 1997). Wissenschaftler*innen haben kontextuelle Effekte untersucht, d.h. wie die Verfügbarkeit anderer Möglichkeiten die Präferenzen und Entscheidungen von Menschen verändert (Trueblood et al., 2013).
Am bekanntesten ist der Kompromisseffekt von Simonson und Tversky (1992), der davon ausgeht, dass die Hinzunahme einer extremen Option dazu führt, dass das Objekt in der Mitte – der Kompromiss – gewählt wird. Wenn man beispielsweise für das Abendessen zwischen einem luxuriösen Fischrestaurant und einer italienischen Pizzeria entscheiden muss, fällt durch die Hinzufügung eines billigen Fast-Food Restaurants die endgültige Wahl eher auf die Pizzeria, den Kompromiss.
Ein weiteres Beispiel ist der Ähnlichkeitseffekt (Brenner et al., 1999). In diesem Fall ähnelt die dritte Option einer der bereits vorhandenen, was die Wahl dieser beider Optionen unwahrscheinlicher macht. Im vorherigen Beispiel, würde somit bei der Hinzunahme eines weiteren exklusiven Restaurants, das auf Fleisch spezialisiert ist, bei den meisten die Tendenz steigen, die Pizzeria zu wählen, die durch die dritte Option nicht gestört wird.
Der letzte kontextuelle Effekt ist der Anziehungseffekt oder asymmetrische Dominanz-Effekt (Heath & Chatterjee, 1995). Hier ähnelt die hinzugefügte Option einer der bisherigen, aber im Gegensatz zum Ähnlichkeitseffekt wird sie von ihr dominiert. Es bedeutet, dass die neue Option objektiv etwas minderwertiger ist. Wäre das zusätzliche Angebot z.B. ein italienisches Restaurant, das aber keine Holzofenpizza anbietet, würde aufgrund der asymmetrischen Dominanz die Pizzeria ausgewählt werden. Der Effekt wurde in vielen Studien getestet und ist stabil, selbst wenn das Luxusrestaurant anfangs gegenüber der Pizzeria bevorzugt wurde (Huber et al., 1982).
Suche nach Infos
Wie bei Kontexteffekten kann nicht nur das Angebot neuer Alternativen die Entscheidung verändern, sondern auch einfach die Suche nach mehr Informationen über die vorhandenen Optionen. Menschen neigen dazu, nach mehr Informationen zu suchen, um ihre Wahl zu erleichtern, wenn sie unsicher sind (Tversky & Shafir, 1992b). Je genauer man über die Möglichkeiten informiert ist, desto besser. Bei der endgültigen Entscheidung wird jedoch neuen Informationen mehr Bedeutung beigemessen (Shafir & LeBoeuf, 2004). Die zusätzliche Feststellung, dass die Wohnung A näher an der Bushaltestelle liegt als die Wohnung B, wird ein wichtigerer Faktor sein, als wenn diese Information von Anfang an zur Verfügung gestanden hätte.
«Wir sehen nicht nur ein ‹Haus›: Wir sehen ‹ein schönes Haus›, ‹ein hässliches Haus› oder ‹ein pompöses Haus›.»
Rolle der Emotionen
Entscheidungen haben einen klar rational-kognitiven Anteil: Was sind die Optionen? Und was für Konsequenzen haben sie? Menschen haben jedoch auch emotionale Reaktionen auf Entscheidungen und Folgen: Freude über ein gutes Ergebnis oder Angst vor einer Operation (Connolly & Zeelenberg, 2002). Emotionen sind wesentlich für den Entscheidungsprozess, sie sind nicht von vornherein Störfaktoren. Die affektive Reaktion folgt auf die kognitive Verarbeitung, die zu einem Urteil und einer Entscheidung führt (Zajonc, 1980).
Die am meisten untersuchte Emotion in der Entscheidungspsychologie ist das Bedauern (Connolly & Zeelenberg, 2002). Es wird unterschieden zwischen dem Bedauern, etwas getan zu haben, und dem Bedauern, nicht gehandelt zu haben. Welche der beiden Situationen mehr belastet, ist umstritten. Kahneman und Tversky (1982) führten eine Umfrage durch, bei der es darum ging, wer von zwei Anlegern mehr Bedauern empfand. Beide hatten 1’200 Dollar verloren, der eine, nachdem er Aktien aktiv gekauft hatte, der andere, weil er sie hielt. Mehr als 90 Prozent der Befragten vermuten, dass der Erstere, der «aktiven Käufer», mehr Bedauern empfinden würde. Im Gegensatz dazu zeigen Gilovich und Medvec (1995) anhand einer realen Erinnerung, dass Menschen es mehr bedauern, etwas «nicht getan» zu haben, als etwas getan zu haben.
«Losses hurt about twice as much as gains make us feel good.»
Emotionale Auswirkungen spielen ebenfalls eine Schlüsselrolle bei einer sehr wichtigen Frage in der Entscheidungspsychologie: «Was fällt emotional schwerer ins Gewicht: Verluste oder Gewinne?». Laut dem Prinzip der Verlustaversion (Kahneman & Tversky, 1979) sind Verluste für uns von grösserer Bedeutung. Menschen benötigen typischerweise «[…] einen potenziellen Gewinn von mindestens 100 Dollar, um einen potenziellen Verlust von 50 Dollar auszugleichen […]» (Tom et al., 2007, S. 51). Dieses Paradigma ist auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Recht und Medizin weit verbreitet (Lewis, 2016).
Das Modell wird akzeptiert, jedoch gibt es viele Experimente, die das Gegenteil zeigen, d. h. dass ein Gewinn eine grössere Wirkung als ein Verlust haben kann (Harinck et al., 2007). Mukherjee und Kollegen (2017) zeigten, dass der betreffende Geldbetrag einen Einfluss hat. Wenn der Betrag hoch war (z. B. 200 Dollar), war die psychologische Auswirkung des Verlustes grösser als der Gewinn. War der Betrag dagegen niedrig (50 Dollar), beurteilten die Teilnehmenden die Gewinne eher als wirkungsvoller. Eine mögliche Erklärung ist, dass ein grosser Geldbetrag objektive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben kann und daher eine grössere Risikoaversion besteht (Rabin & Thaler, 2001). Gal und Rucker (2017b) weisen darauf hin, dass sich die Auswirkungen je nach Typ der Belohnung ändern können. Bei nicht-monetären Objekten (z. B. Gewinn oder Verlust einer Tasse) ist die positive Auswirkung eines möglichen Gewinns grösser als die negative Auswirkung eines Verlusts.
Vielleicht wird es in der Zukunft einem Modell gelingen, neben den besprochenen Faktoren wie Kontext, Alternativen und Emotionen auch noch weitere Einflüsse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Bis dahin werden die Menschen weiterhin jeden Tag Entscheidungen treffen, die den Verlauf ihres Lebens verändern werden.